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Erdogan Und Co

Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Aber irgendwie zeitigen Krieg und Krise im Nahen Osten mehr und mehr politische Verwirrung draußen als im Konfliktgebiet selbst. Dort sind die Fronten wie zu erwarten. Das politische Setting ist weder neu noch spendet irgendetwas Trost. Was sich freilich außerhalb der Region, die in terroristischer Gewalt, islamistischen Drohgebärden und in von vielen Seiten umstrittener Gegenwehr ertrinkt, so auftut, ist von einer derart kruden Begleitmusik geprägt, dass es einen halbwegs wachen und klaren Verstand nurmehr schaudern muss.

Während in Deutschland so getan wird, als würde, wenn mit lautem allahu akbar von einer Handvoll Menschen zum Kalifat getrommelt wird, die Demokratie morgen im Niqab-Meer ertränkt werden, darf der türkische Präsident Erdogan ungezügelt von der Hamas als Befreiungsgruppe sprechen. Während in Deutschland Palästinenser-Anhänger zu Recht wegen antisemitischer Parolen in die Schranken gewiesen werden, darf der Autokrat in Ankara widerliche Hetzreden gegen Israel schwingen und mehr als weniger offene Sympathie für die Islamisten in Gaza bekunden.

Man kann nicht wirklich mehr ausmachen, wem eigentlich mehr Mokkatassen im Schrank fehlen: den fehlgesteuerten Hamas-Freunden, die weltweit auf die Straße gehen, aber die Welt nicht wirklich aus den Angel heben werden, oder dem NATO-Partner Türkei. Dem von den Mitgliedern der Allianz allem Antisemitismus zum Trotz kein politisches Härchen gekrümmt wird. Die Front der Israel-Beschützer, die sich Tag für Tag international zusammenrauft, um der Bedrohung Israels Einhalt zu gebieten, zerbröselt geradezu, wenn es Erdogan eigentlich an den Kragen gehen müsste.

Warum das so ist, darüber muss man nicht groß spekulieren. Das liegt auf der Hand. Es gibt, wie es immer so schön heißt, übergeordnete Interessen. Und sei es, dass Erdogan, wie er sich selbst einredet, als Vermittler im Nahost-Konflikt auftreten könnte. Da lachen die Hühner. Einer, der Zehntausende ungeliebter Kritiker seiner Politik eingebuchtet hat, will zum Friedenspropheten aufsteigen. Da kriegt sich doch selbst Allah nicht mehr ein. Was Erdogan als Vermittler bringt, hat er schon im kriegerisch festgefahrenen Fall Russland vs Ukraine bewiesen: nichts, rein gar nichts.

Das wäre doch eine gute Gelegenheit, das türkische Staatsoberhaupt, das im Grunde so wenig für die NATO wie für die EU taugt, vom Spielfeld zu schicken. Statt Konsequenz zu demonstrieren, wo bei aller Großtönerei der Hintern in der Hose fehlt, konsequent konsequent zu sein. So misst man, das ist so wenig überraschend wie entlarvend, mit zweierlei Maß. Genau das ist es, was seit jeher den Gegnern eines Friedens im Nahen Osten den Weg so leicht gemacht hat: Unglaubwürdigkeit. Das weiß auch Israel, das darin für sich einen politischen Freifahrtschein wähnt.

Wenn kein Erdogan um die Aufkündigung der Freundschaft fürchten muss. Dann muss es auf der anderen Seite auch Netanyahu nicht. Wenn er einen Minister, der Atombomben-Einsatz und die Opferung von Geiseln erwägt, denn im Krieg bezahlen wir eben einen Preis, gerade mal vom Dienst suspendiert wird statt ihn in die Wüste Negev zu jagen. Dann darf im Grunde jeder, dessen Freundschaft wir brauchen oder den wir abseits aller nötigen Moral zum Freund erheben, folgenlos machen, was er will. Alle anderen müssen sich den Regeln von Demokratie und Menschenrechten fügen.

Was nicht heißen sollen, dass alle Anderen jetzt auch von der Nachlässigkeit gegenüber antisemitischen respektive anti-palästinensischen Polit-Proms profitieren sollten. Umgekehrt wird ein Schuh draus: führende Protagonisten der Polit-Bühne müssen sehr viel mehr zu spüren bekommen, dass es für sie, aus welchen Gründen auch immer, keine Ausnahmen gibt. Sondern dass Maßstäbe, die wir mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, mit Menschlichkeit und politischem Respekt, mit Existenzansprüchen und religiöser Toleranz verbinden, an ALLE angelegt werden.

Ohne wenn und aber. Ohne Rücksicht auf Geschichte. Und das, was wer auch immer für wahre Ursprünge hält. Ohne berechnend zu sein und ohne Aufrechnung. Die Welt hat sich seit Abraham und Mohamed entwickelt. Sie lässt sich nicht auf einen Urzustand zurechtdeklinieren, aus dem man Ansprüche für die Gegenwart formuliert. Das hieße, reaktionär zu sein. Die Welt hat sich bewegt und wurde bewegt – kulturell, wirtschaftlich und politisch. Mal friedlich, mal mit Gewalt, Unterdrückung, Opfern. Zurückschrauben lässt sich das nicht. Nur einsichtiger werden, das sollte schon gelingen.

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