In Berlin wurde dieser Tage eine Ausstellung abgesagt. Eine Ausstellung mit Werken des Fotografen und Künstlers Raphaël Malik. Muslimisches Leben – in Berlin. In einer Galerie in Berlin-Mitte. In einem Schreiben wird die Absage begründet. Um Konflikte zu vermeiden, möchten wir eine einseitige Präsentation muslimischen Lebens ohne einen entsprechenden Gegenpol, der beispielsweise jüdisches Leben in Berlin zum Thema hat, aktuell nicht in einer Ausstellung zeigen. Wie bitte?, fragt die Süddeutsche Zeitung. Das frage ich mich auch!
Oder, nein, eigentlich frage ich mich nicht mehr. Wundere ich mich nicht mehr. Erschrecke freilich. Über die Ängste des Kulturbetriebs. Der nicht erst dieser Tage, sondern schon mit Blick auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine, der mittlerweile auch ein Krieg der Ukraine gegen Russland ist, das Gegenteil von dem tut, was seine Aufgabe wäre: Die Freiheit der Kultur zu schützen vor äußerer und innerer Zensur. Denn genau das ist es, was derzeit geschieht. Die Kultur lässt sich gängeln. Und gängelt die Kultur. Ohne Not. Aus Mangel an Courage.
Quasi im Auftrag einer zweifelhaften Politik. Und einer Öffentlichkeit, die auch abseits jeder triftigen Verdächtigung auf Linie gebracht werden soll. Es werden unausgesprochen Bekenntnisse verlangt. In einer Art und Weise, die totalitäre Züge trägt. Von der Ausstellungsabsage wie in Berlin bis zum Ausstellungsverbot ist es da gar nicht mehr weit. Von der Absage einer Preisverleihung an eine respektable Buchautorin bis zu ihrer Inkriminierung auch nicht. Vielleicht werden ja demnächst Bücher verbannt, weil Autoren Muslime sind.
Zu Recht gibt es harsche Kritik an der BDS-Bewegung. Boycott, Divestment, Sanctions. Eine Bewegung, die vorschreiben will, wie man gegen Israel Front macht. Indem man der Kunst, der Kultur den Atem nimmt. Zumindest was ihr Dasein in Israel anbelangt. Genau das machen jetzt allerdings die Kritiker der BDS. In Deutschland. Sie nehmen der Kunst, der Kultur den Atem. Sie sorgen dafür, dass im Zeichen der Bekämpfung von Antisemitismus alles unter die Räder gerät, was nicht ausschließlich in ihrem Sinne Farbe bekennt.
Statt der Kunst und Kultur die Aufgabe freizuhalten, die sie in der Geschichte hatte: Vor allem ihre Freiheit zu verteidigen, sein zu dürfen. Die Freiheit, nicht Erfüllungsgehilfe zu sein. Den Diskurs zu befördern. Werden Kunst und Kultur ausgegrenzt und diskriminiert. Selbst wenn sie nichts verbrochen haben. Einfach, weil sie nicht ins Bild passen. Muslime passen gerade nicht ins Bild. Muslimisches Leben in Deutschland passt nicht ins Bild. Am Liebsten würde man, wie Trotzki neben Lenin, die Muslime aus dem öffentlichen Leben wegretuschieren.
Der Umgang mit Kunst und Kultur, der im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt auffällt, ist der, der schon im Fall Russland gegen die Ukraine aufgefallen ist. Künstler werden für Extremisten – ob der Diktator und Kriegsverbrecher Putin oder die kriegsverbrecherische, terroristische Hamas – in Sippenhaft genommen. Was gestern selbstverständlich war, sie schreiben, malen und spielen zu lassen, gerät unter den Generalverdacht der Komplizenschaft. Kunst und Kultur werden, sofern sie nicht strammstehen, aussortiert und stumm geschaltet.
Wir sind, und das muss Empörung hervorrufen, an einem Punkt der Debatten und der Politik angelangt, der unsere liberale Gesellschaft in Frage stellt. Im Schatten nötigen Widerstands gegen den Hamas-Terror und dringend notwendiger Solidarität mit unseren jüdischen Mitbürgern wächst schleichend etwas heran, was die Grundwerte angreift. Denn die Würde und der Respekt, die wir als ein Leitmotiv unserer Demokratie betrachten, drohen sich in inakzeptabler Bevormundung zu verlieren. Aus demokratischer Vielfalt droht ein Land unerträglicher Ressentiments zu werden. Die Folgen sind spürbar.
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