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RauchUm Geraldine Rauch

Es bleibt in diesen Zeiten bewegender Diskurse, Haltungen und Positionierungen gegenüber Israel und der Kritik an der Regierung Netanyahu kein Versuch aus, Einseitigkeit, Gängelung und Bekenntnis-Druck über das Recht auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit zu stellen. Jüngstes Beispiel ist die Diskussion um die Präsidentin der Technischen Universität (TU) in Berlin, Geraldine Rauch. Die, so muss man sagen, einen Fehler gemacht hat. In dem sie, nach eigener Aussage, ohne genau hinzuschauen, einen auf den zweiten Blick antisemitischen Post geliked hat. Das wurde ihr, die sich nach allgemeinem Bekunden bisher klar gegen Antisemitismus gestellt hat, zum Verhängnis. Fast. Denn die Gremien der TU billigen ihr ernsthafte Reue zu – und damit verbunden, zunächst einmal den Job an der Universitätsspitze zu behalten.

Genau das passt nicht in die derzeitige Debatte um Antisemitismus. Weder passt das der Mehrzahl der Medien, noch dem Zentralrat der Juden in Deutschland, noch dem Auschwitz-Komitee, dem Antisemitismus-Wächter der Bundesregierung, der CDU und etlichen anderen mehr. Zumal Rauch Uffa Jensen als Antisemitismusbeauftragten an die TU berufen hat. Der die Ungeheuerlichkeit beging, sich der Jerusalemer Erklärung, die Israelkritik nicht gleich Antisemitismus setzt, und nicht der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angeschlossen zu haben. Beide Erklärungen freilich tragen die Unterschriften angesehener israelischer Wissenschaftler. Aber das schert die Phalanx der Antisemitismus-Bekämpfer nicht. Sie haben sich festgelegt. Und legen fest, was antisemitisch zu sein hat und was nicht.

Auch das wäre nicht einmal tragisch und ist von der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit gedeckt. Denn natürlich darf und müssen in der Debatte um Antisemitismus auch jene Stimmen gehört werden, die jedwede Kritik an Israel antisemitisch nennen. Das Fatale ist, dass diese Stimme mittlerweile nicht nur die Diskussion dominieren. Sie sind und werden zunehmend zum Maßstab des Umgangs mit jenen, die eine andere Meinung haben. Dieser Umgang ist gekennzeichnet von einer Art der Diffamierung, die Züge der Inkriminierung trägt. Dass Geraldine Rauch nicht bereit war, ob ihres Fehlers zurückzutreten, und dass die TU-Gremienmitglieder nicht mehrheitlich den Stab über die Universitätspräsidentin gebrochen haben, ist für das Gegen-Rauch-Lager inakzeptabel, ja ein Desaster.

Es war einmal guter Usus in Deutschland, andere Meinungen – sofern sie nicht strafbar waren – gelten zu lassen und in Debatten einzubeziehen. Es war einmal möglich, auch in aufgewühlten Diskussionen sehr konträre Positionen zu beziehen. Ohne dass gleich an Stühlen gerüttelt und an Ästen gesägt wurde – auch dann nicht, wenn manche das gern so haben wollten. Es war einmal möglich, dass etwa eine grüne Polit-Ikone, die ehedem mit Bildern von sich reden machte, die sie in gewalttätiger Pose zeigte, in Deutschland und weltweit angesehener Außenminister sein konnten. Auch wenn schon damals die Springer-Horde losbrüllte und über sie herfiel. Es gab eine ob nüchterner Betrachtung wohlwollend versöhnliche Atmosphäre im Land. Die es möglich machte, sich auf anständige Weise zu positionieren und Positionen anzuzweifeln.

Diese Atmosphäre gab es, obschon auch in diesen Zeiten Konflikte hochschlugen und geeignet waren, eskaliert zu werden. Mittlerweile und unter dem Eindruck für viele Seiten offenbar schwer zu ertragender politischer Verwerfungen, schaukeln sich die öffentlichen Auseinandersetzungen in einer Weise hoch, die beinahe autokratische Maßlosigkeit offenbart. Es zeigt sich eine Form der Missachtung und Respektlosigkeit, der Denunziation und der Lust daran, Meinungsabweichler zu vernichten, dass man sich nur noch fürchten kann. Diese Art der Selbstgewissheit hat nur noch vordergründig etwas, dem man irgendwie mit Verständnis begegnen könnte. Sie ist nicht mehr in der Lage, zu differenzieren. Sie drückt Haltungen mit Macht an mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht mehr vereinbare Ränder.

Es gibt, das ist unabweisbar, öffentliches Kundtun, dem in einer Gesellschaft, die Extremismus, auch wenn er nicht mit Gewalt, sondern in Worten daherkommt, Einhalt geboten werden sollte. Es gibt einen Antisemitismus, der untragbar ist, weil er Jüdinnen und Juden direkt angreift, ihr Existenzrecht wo auch immer und das Recht der Existenz des Staates Israel in Frage stellt, gar im Verbund mit terroristischen Aktionen und unmittelbarem Terror, wie dem der Hamas, attackiert. Es muss aber erlaubt sein, und das ist es ja sonst auch, Religion, Politik, auch die eines Staates Israel, an den Kriterien zu messen, die für alle gelten. Demokratie und Rechtsstaat schließen, sofern sie nicht auf deren Abschaffung zielen, seit jeher auch den Streit darüber ein, wie wir und andere beidem möglichst gerecht werden können.

Natürlich bleibt es vor diesem Hintergrund Medien, Politik und Interessenvertretern unbenommen, sich auch über Entscheidungen im Zusammenhang mit der TU-Präsidentin Rauch zu empören und weiter zu bohren, um eine führende Wissenschaftlerin samt Gremien in die Knie zu zwingen. Auch das ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wer freilich glaubt, dass es zwingend notwendig sei, sich diesem teils inquisitorischen Druck zu beugen, der hat etwas, was mit ganz zwingenden Koordinaten unserer Grundordnung zu tun hat, gründlich missverstanden. Deshalb war und ist es gut, dass sich Geraldine Rauch und die TU-Gremien nicht dem Druck gebeugt haben. Dem Ansinnen, missliebige Haltungen strafrechtsgleich zu ahnden, muss unbedingt das Exempel, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen, entgegengestellt werden.

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