Wenn Kritik an Israel per se antisemitisch ist, wozu sich Hüter des Kampfes gegen Antisemitismus glauben immer wieder aufs Neue aufschwingen zu müssen, dann sollen sie das weiter behaupten. Die neuen Volten des israelischen Ministerpräsidenten sind gleichwohl nicht kompatibel mit Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Völkerrecht. Die Anbiederung des Kabinetts Netanyahu an Europas Rechtspopulisten und Rechtextreme sind nicht Indiz dafür, dass es der Regierung Israels ernst mit Anti-Antisemitismus ist, schon gar nicht mit der Universalität einer menschenrechtswürdigen Politik. Die Anhaltspunkte jedenfalls mehren sich zusehends, die Zweifel an der politischen Integrität Israels hegen.
Wer eine Internationale Konferenz gegen Antisemitismus in Israel plant und Vertreter des französischen Rassemblement National (RN) von Marie Le Pen einlädt, dazu der rechtsextremen spanischen Vox-Partei und der rechtsextremen niederländischen Freiheitspartei von Geert Wilders, macht sich als Verfechter jüdischer Interessen unglaubwürdig. Die Initiative dazu hat Diaspora-Minister Amichai Chikli von Netanyahus Likud ergriffen. Weil Islam-Feindlichkeit mehr verbindet als die Abwehr Demokratie torpedierender Haltung, sind Europas Rechte dem Staat Israel willkommen. Zumindest der Likud-Partei, die auch im EU-Parlament, mit ausdrücklichem Beobachterstatus, den Schulterschluss mit den Rechten sucht.
Weil die Zuneigung so offensichtlich und beschämend ist für die, die sich sonst für den Staat Israel stark machen und all die angreifen, die nicht nur wegen dieser Konferenz Kritik üben, hat es Absagen gegeben. Etwa die des deutschen Antidemitismus-Beauftragten Felix Klein, des britischen Chefrabbiners Rabbi Ephraim Mirvis und des rechtskonservativen Philosoph Bernard Henry-Lévy, der sonst um Israel-Nachsicht nicht verlegen ist. Interessant ist, dass die Absurdität der Konferenz in kaum einem deutschen Medien aufgegriffen wird. Ist es die Scham, dass man der israelischen Regierung bei der Bekämpfung palästinensischen Terrors reihenweise Freibriefe erteilt hat, die jetzt durch Ignoranz wirkt?
Der Berliner Tagesspiegel, die Süddeutsche Zeitung und auch die Jüdische Allgemeine beispielsweise haben die Konferenz, ihr Zustandekommen und die entlarvende Gästeliste aufgegriffen. Andere Medien schweigen. Dabei gehen auch Expert:innen die Augen über die politischen Verwebungen des israelischen Likud mit der europäischen Rechten auf. Die jüngsten Entwicklungen, so zitiert der Tagesspiegel ein Interview, dass die Leiterin des Programms der Beziehungen zwischen Europa und Israel am israelischen Mitvim-Institut, Maya Sion-Tzidkiyahu, der Zeitung Haaretz gab, seien der Beleg dafür, dass die Netanyahu-Partei „integraler Teil der extremen, illiberalen populistischen Rechten“ ist. Ein klares Urteil
So klar blicken Verfechter des Anti-Antisemitismus auf die Konferenz, dass auch Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, entsetzt ist über die Initiative der israelischen Regierung. Wenn wir uns mit rechtsextremen Kräften zusammentun, diskreditieren wir unsere gemeinsame Sache. Es widerspricht auch meinen persönlichen Überzeugungen und wird sich negativ auf unseren Kampf gegen den Antisemitismus in unseren Gesellschaften auswirken. So drückte es Beck auf der Elon-Musk-Plattform X aus, auf der noch immer viele unterwegs sind, wissend, dass auch Musk beste Kontakte zur Rechten, besonders auch zur AfD pflegt. Sprüche und zugleich Widersprüche, wo immer man hinschaut.
Die Brandmauer, die ein deutscher Kanzler in spe Friedrich Merz kürzlich gegenüber der rechten AfD wackeln ließ, wovon er jetzt nichts mehr wissen will, wird von der israelischen Regierung unter Netanyahu offen aufgestoßen. Die neue Gaza-Offensive und der verstärkte Zugriff auf das Westjordanland, so das Kalkül, werden in Europa Dank der erstarkenden Rechten Unterstützung erfahren. Umso mehr, als auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, mehrfach signalisiert hat, dass sie sich eine Zusammenarbeit mit Rechten in Europa unter bestimmten Bedingungen vorstellen könnte. Wenn überall Abgrenzungen gegen rechts aufweichen, warum also nicht auch in Israel?
Dass sich die Rechten in Europa eine anti-islamische Grundhaltung auf die Fahnen geschrieben haben, heißt nicht, dass sie in ihren tiefsten Seelen dem Antisemitismus ihrer Vorläufer, insbesondere auch ihrer dezidiert faschistischen Vorläufer, abgeschworen hätten. Ihnen ist je nach strategischem Befinden jedes Ressentiment recht, um Demokratien und Rechtsstaat auszuhebeln und unter Camouflage gewählt zu werden und an die Macht zu kommen. Le Pen und AfD-Chefin Alice Weidel kultivieren das Geschäft vermeintlicher Harmlosigkeit. Dass ungeachtet dessen ein Staat wie Israel, der es historisch besser wissen müsste, rechte Bande knüpft, zeigt, wohin die Agenda Netanyahus treibt.
Der israelische Ministerpräsident steht nicht erst seit dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas in Frage. Seine Macht stand schon vorher durch Korruptions-Skandale und Angriffe auf den Rechtsstaat auf dem Spiel. Seit Oktober 2023 ist die Lage für ihn nicht einfacher geworden. Um von seiner erfolglosen Strategie der Geiselbefreiung abzulenken, geht er weiter in die Offensive. Wer ihm nicht passt, wir geschasst. Der Geheimdienstchef, die Generalstaatsanwältin. Das ist Trump pur. Um auf der anderen Seite jedwede Hoffnung auf einen palästinensischen Staat neben Israel zu zerstören. Slogans, die in Deutschland die Ermittler auf den Plan rufen, sind mittelbare israelische Staatsräson.
Nein, man darf sich nicht vom Vorwurf Israel-bezogenen Antisemitismus‘ abschrecken lassen. Wer es mit der Existenz des Staates Israel ernst meint, und zwar mit der Existenz eines demokratischen Staates Israel, wer es ernst meint mit dem Schutz von Jüdinnen und Juden muss sie – neben dem Schutz vor antisemitischen Angriffen wo auch immer – vor allem auch vor dem Angriff des Kabinetts Netanyahu auf die Integrität ihres Staates schützen. Ressentiments gegeneüber und lautstarke Kritik an dem, was die israelische Regierung gerade vorführt, ist das Gegenteil von Antisemitismus. Es ist ist derzeit eines der stärksten Signale der Solidarität mit Jüdinnen und Juden weltweit.

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