Kaum ist die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen von der Justiz des Landes ihrer politischen Karriere beraubt worden, überschlagen sich die Kommentare. Kein Wunder. Sieht es doch danach aus, als würde die Gallionsfigur der Partei Rassemblement National (RN) ihr wichtigstes Ziel, nämlich bei der nächsten Präsidentenwahl anzutreten und eventuell auch zu gewinnen, aus dem Auge verlieren müssen. Wegen Veruntreuung von EU-Geldern darf sie nach einem Pariser Gerichtsurteil in den nächsten fünf Jahren nicht bei Wahlen kandidieren. Dass sie zwei Jahre lang Fußfesseln tragen und zudem eine Geldstrafe von 100.000 Euro zahlen muss, scheint gemessen am Passiv-Wahlverbot nebensächlich. Ergo wehrt sich Le Pen vor allem dagegen, dass sie aus ihrer Sicht via Justiz politisch kaltgestellt werden solle.
Ein Tenor lässt sich in den Kommentaren ausmachen: Danach hat die Richterin mit ihrem Urteil eher Wasser auf die Mühlen der europäischen Rechten gelenkt. Der Schuldspruch, so liest es sich allenthalben, sei vor allem ein politischer. Das Passiv-Wahlverbot untergrabe den Wettstreit der Meinungen, auch mit Blick auf Wahlen. Und unterhöhle damit das Wesen der Demokratie, wird konstatiert. Wolle man die Rechte, wo auch immer in Europa, minimalisieren, müsse man das via öffentlichem Richtungsstreit tun, nicht per Gerichtsurteilen, die den Verdacht nährten, die Justiz würde instrumentalisiert und lasse dies auch zu. Wer freilich so argumentiert, befördert, wenn schon, ebenfalls rechte Ressentiments. Vor allem das, dass die Justiz in westlichen Demokratien per se nicht unabhängig sei, sondern einseitig hörig.
Auf den ersten Blick sachliche Kritik an dem Urteil entlarvt sich schnell, rechten Kritikern des Urteils gegen Le Pen auf den Leim zu gehen. So führt ein Kommentator in der Frankfurter Rundschau an, dass ganz besonders ein Passus, wonach das verhängte Passiv-Wahlverbot nicht durch ein Berufungsverfahren aufgeschoben werden kann, anrüchig sei. Weil sich der Ausschluss aufschiebender Wirkung auf eine Fußnote beziehe, wonach Wiederholungstäterschaft verhindert werden soll. Le Pen könne aber nicht mehr rückfällig werden, da sie nicht mehr im EU-Parlament sitzt. Das Urteil sei deswegen politisch kurzsichtig. Kurzsichtig ist allerdings der Kommentator. Denn um öffentlicher Gelder zu veruntreuen muss man nicht im EU-Parlament sitzen, und es muss sich auch nicht um Gelder aus Brüsseler Töpfen handeln.
Dies ist nur ein Beispiel, wie sich diejenigen, die Anhänger der Theorie sind, wonach sich Politik und Justiz mit Verboten gegenüber rechten Parteien und Personen ins eigene Knie schießen, im Dickicht der Argumente schnell verheddern. Über den Sinn von Verboten kann man streiten. Es gibt gute Gründe, auch mit Blick auf die AfD die öffentlich-politische Marginalisierung der Partei und ihrer Protagonisten der juristischen vorzuziehen. Schon deshalb, weil Verbote ja nicht rechten Geist aus Köpfen vertreiben. Aber darum muss es gehen, wenn man Feinde von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrecht nachhaltig bekämpfen will. Das kann aber nicht heißen, in den Chor der Rechten einzustimmen, in dem man nach einem Urteil wie dem gegen Le Pen im Affekt die Justiz in die Mangel nimmt.
Ist es wirklich anrüchig, wenn man Personen, egal welche Straftaten sie begehen, von demokratischen Institutionen wie Parlamenten und Präsidialämtern qua Passiv-Wahlverbot ausschließt? Oder ist es, auch juristisch, gerechtfertigt, gerade höchste Positionen im Staat an nicht nur demokratische, sondern auch rechtliche Integrität zu knüpfen? Und wenn ja, was ist daran anrüchig, einer Marine Le Pen nach einem Urteil zur Veruntreuung von EU-Geldern eine solche Position erst einmal zu versagen? Gerade, wo auch in anderen Staaten es eher so ist, dass regiert wird und werden kann, in dem man die Justiz nicht nur in Frage stellt, sondern unterläuft und ignoriert, ist Zurückhaltung geboten, dem rechten Narrativ von einer einseitigen Politisierung der Justiz nachzuplappern. Gilt auch für Medien.
Dagegen könnte eingeworfen werden, dass es ja schon immer Staaten gab, die sich auch einer Justiz bedienten, um ihre politischen Ambitionen durchzusetzen. Gewiss. Aber es handelte sich um repressive Staaten mit autoritären oder diktatorischen Regierungen, die die Justiz in ihren Machtkreis eingebunden haben. Dazu gehört aktuell etwa die Türkei. Mithin stellt sich die Frage, wem man zuredet, wenn man Frankreich und seine Justiz mit antidemokratischen Staaten auf eine Stufe stellt. Die Rechten im Nachbarland, aber auch die der AfD, gehören zu den Kräften, die nichts lieber tun, als Zweifel an Staat und Justiz zu säen. Bei der AfD, um den Verfassungsschutz zu diskreditieren, aber auch, um für ein etwaiges Verbotsverfahren vorzubauen. Dahinein passt die Kritik an Frankreichs Justiz.

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