by

Von Sicheren Herkunftsländern

Rechtzeitig, damit auch die schwarz-rote Koalition migrationspolitisch einschwenken kann, hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für so genannte sichere Herkunftsländer unterbreitet: Zu ihnen gehören Kosovo, Bangladesh, Kolumbien, Indien, Ägypten, Marokko und – Tunesien. Man darf davon ausgehen, dass das, wenn es europäisch durchgewunken wird, auch in Berlin Einvernehmen findet. Das, und NUR das, müsste aufrechten Demokraten schon langen, um die Koalition platzen zu lassen, noch bevor sie das Licht der unsäglichen Welt erblickt. Die Abstimmung in der SPD ist der Lackmus-Test: Handelt es sich bei der Partei um ein Nest von Macht besessener Opportunisten oder um menschlich Aufrechtgehende.

Ein dankenswerter Beitrag aus dem Hause des Bayrischen Rundfunks (vom vorigen Jahr) hilft, die antimigrantische Seele des europäisch-behördlichen Zentrums um Ursula von der Leyen zu offenbaren. Danach tun Marokko und Tunesien alles, um Flüchtlinge, die in den Ländern gestrandet sind, mit maximaler unmenschlicher Härte loszuwerden. Systematisch, so der BR-Bericht, lässt Tunesien Migrant:innen verschleppen und in der Wüste aussetzen. Bei 40° Grad irren Flüchtlinge tagelang durch den Sand, bevor sie an der tunesisch-libyschen Grenze vom libyschen Milizen aufgegriffen werden. Andere würden im Osten, im Niemandsland an der Grenze zu Algerien von tunesischen Sicherheitskräften ausgesetzt.

Man kann sich erschreckend vorstellen, wie es in den Köpfen der EU-Kommissionsmitglieder zugeht. Es wurden Abkommen geschlossen, nach Tunesien ssollten Angaben zufolge 105 Millionen Euro fließen. Gedacht als Ausgleich und Ansporn für einen Migrationskurs, der eines zum Ziel hat: Sich Flüchtlinge vom Leibe zu halten. Die Millionen waren/sind für den tunesischen Grenzschutz vorgesehen, der, wie man den BR-Recherchebericht entnehmen kann, auf seine Weise ganze Arbeit leistet. Obschon die EU von der gnadenlosen Praxis Tunesiens wisse, sei die Kooperation zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt worden. Deutschland liefere Ausrüstung und bilde tunesische Nationalgardisten aus. Na danke!

Beim Bundesinnenministerium nachgefragt, sei dem BR mitgeteilt worden, dass man die Verbringung von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten in das libysch-tunesische und algerisch-tunesische Grenzgebiet im Sommer 2023 mehrfach scharf und öffentlich kritisiert habe. Doch intensive BR-Arbeit könne belegen, dass die beschriebene Praxis nicht gestoppt worden sei. Es kommt von der deutschen Bundesregierung die immer wieder gleiche Suada von Beschwichtigungen. Das Ministerium zum BR: Der Respekt gegenüber Menschen und Menschenrechten sei stets aufs Neue Thema bei Gesprächen. Doch das scheint eher protokollarischer Firlefanz zu sein, ohne Daumenschrauben. Daran wird sich, davon ist auszugehen, nichts ändern.

Der Bericht des BR ist fast ein Jahr alt. Allerdings hat das ZDF kürzlich in gleicher Erzählung nachgelegt. Danach gelangen Schutzsuchende immer seltener nach Europa, insofern läuft das Brüsseler Programm quasi wie geschmiert. Das Schicksal der Flüchtlinge, die die EU in die Obhut der tunesischen Behörden gibt, ist freilich für viele weiter nur schwer zu ertragen. Nach wie vor werden Migrant:innen an die Grenze zu Libyen deportiert. Ohne Wasser, ohne Verpflegung, so die ZDF-Recherchen. Man wolle Asylsuchende auf diese Weise davon abhalten, überhaupt den Weg Richtung Europa anzutreten, meinen Hilfsorganisationen. Sie hielten sich ansonsten bedeckt, aus Angst ihre Arbeit zu gefährden.

Asylverfahren vereinheitlichen, verkürzen, so lautet das Motto eines lang gehegten Wunsches nach einer Flüchtlingspolitik, die der EU die Lasten von Kosten und Bürokratie nimmt – und die Flüchtlinge einem schöngeredeten Schicksal überlässt, das mit der Realität herzlich wenig zu schaffen hat. Asylanträge sollen, schon darüber soll sich die neue Koalition in Berlin nach Ansinnen der Union hinwegsetzen, individuell bearbeitet werden. Um internationale Standards nicht zu unterlaufen. Allerdings soll das möglichst schnell abgespult werden. Dafür ist die Liste der EU-Kommission gedacht, die Menschenrechte auf ein Instantmaß zusammenschnurren lässt. Italien, Griechenland, Frankreich, Deutschland – egal, Hauptsache Afrika.

Hinterlasse einen Kommentar