Eines kann man der „Bild“ nicht vorwerfen: Mangelnde Konsequenz. Dass Harald Martenstein den verstorbenen Franz Josef Wagner auf dem prominenten Kolumnen-Platz ersetzt, ist irgendwie stimmig. Wobei die Hemdsärmeligkeit, mit der Wagner verbal unterwegs war, nicht unbedingt die Sache von Martenstein ist. Aber im inhaltlichen Haudrauf bleibt sich das künftige geschriebene Wort dem alten nicht nur vermutlich treu. Martensteins neue Heimat dürfte ihm ein kuscheliger Ort für seine verstrickten Ansichten sein. Dabei gilt nicht „Einsrechts, einslinks“. Sondern eine eher, sagen wir mal vorsichtig, unorthodoxe Handhabung von Wolle und Nadeln. Am Ende lässt sich verschwurbelter Kram im Kolumnen-Fenster finden. Bisweilen Zeugs, das sich im Fachjargon der Handarbeit „kraus rechts“ gestrickt nennt. Stricken nur mit rechten Maschen. Martenstein hat es da zu einer gewissen Fertigkeit gebracht.
Es ist eine ganze Weile her, dass jemand ebenso knapp wie treffend beschrieben hat, wie es sich nun wieder verhält. Das war auf dem Internetportal „literaturkritik“, wo es hieß: „Jede Zeitung hat den Kolumnisten, den sie verdient…“ Verdient scheint mir, was Robin Detje schon 2014 in der „Zeit“ meinte: „Zur Ästhetik des Widerstands gehört die Perfidie der Sprache, die joviale humorige Süffisanz, mit deren Hilfe den Lesern das Verführungsangebot unterbreitet wird, sich gehen zu lassen und zu den eigenen Ressentiments zu stehen. Haralds Spezialität ist es zum Beispiel, die Regeln des sogenannten Gutmenschentums immer wieder ganz locker zu hinterfragen, wobei dann jedes Mal herauskommt, dass es viel mehr Spaß macht, einfach mal ein Schwein zu sein…“ Dieses spezielle Sein hat Martenstein denn auch schon eine Menge Ärger eingebracht. Bis hin zum Aus beim „Tagesspiegel“.
Das war zu Corona-Zeiten, wo es im Schutz des Home-Office selbst für sonst zahme Begleiter gesellschaftlicher Zu- und Umstände geradezu angesagt war, die Sau rauszulassen. Damals hatte Martenstein für das Berliner Medium eine Kolumne verfasst, die so schnell, wie sie verfasst worden war, als antisemitisch gebrandmarkt wurde. Gegner von Corona-Maßnahmen waren mit „ungeimpft“-Sternen auf die Straße gezogen, die Parallelen zur Judenverfolgung durch die Nazis nahelegten. Für die einen Verharmlosung des Holocaust, aus Sicht Martensteins „sicher nicht antisemitisch“. Die Wogen schlugen beträchtlich hoch. Bei Lesenden. Auch innerredaktionell. Urteil, Zynismus. Mindestens. Der Text wurde gelöscht. Wie immer habe er geschrieben, was er denke, so der Autor. Er bleibe dabei. Nur nicht im „Tagesspiegel“. Also ist er gegangen. Geweint hat dort dem Vernehmen nach niemand.
Der Eklat war nur Spitze der Umstrittenheit, für die Martenstein mit zunehmendem Alter sorgte. Es ließen sich zig Fälle, die für öffentliche Proteststürme taugten, aufzählen. Anhand der Rezeption auf „wikipedia“ wird das Ausmaß deutlich. Danach wurde ihm in einem „taz“-Blog vorgeworfen, in Antisemitismus-, Rassismus- und Sexismus-Debatten „die Diskriminierung von Juden, Frauen und Schwarzen bewusst zu verharmlosen“. Alte, weiße Männer „in vorderster Front“, so ordnete Detje in der „Zeit“ das Quartett um Martenstein ein, zu dem er Ulf Poschardt, Jan Fleischhauer, Matthias Matussek zählte. Ein „Spaß-Terrorregime“ aus Kolumnen als „Ästhetik des Widerstands“, inklusive Opfern in den Echokammern des Internets. „…deshalb husch, husch, ihr allmännermächtigen Diskursbeherrscher, zurück in eure Eckkneipe“ (Detje). Martensteins Kneipe ist nun „Bild“.
Auf der „taz“-Facebook-Seite fand sich aus aktuellem Anlass folgender Text: „…verboten gratuliert dem ärmsten aller Opfer der diktatorischen, woken Cancel Culture, Harald Martenstein, zur Befreiung aus der Gefangenschaft in den berüchtigten Schweigeklöstern Zeit und Welt, in denen der Bedauernswerte jahrelang vollkommen wehrlos zur totalen Sprachlosigkeit verdammt war. Gut, dass er jetzt endlich jeden Tag in Wort und Bild beweisen darf, was man in diesem schlimmen Land alles nicht mehr schreiben darf…“ Was man hier noch schreiben könnte, bezieht sich auf den Mai dieses Jahres. Da war Martenstein als Gast zu einer Gedenkfeier für den Nazi-zugeneigten Autoren Ernst Jünger geladen. Veranstaltet von einer schlagenden Verbindung, deren Namen hier nicht beworben werden soll, die sich nicht „vom Zeitgeist gängeln“ lassen mag. Gängelei findet auch Martenstein gar nicht gut.

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