Als ich das erste Mal nach Raša fuhr, war es wegen Merania. Ich hatte von der Keramik-Werkstatt gelesen. Eine Werkstatt in einer alten Baracke. Versteckt am Rande des Ortes. Unscheinbar. Mir gefielen die Dinge, die dort hergestellt werden. Ich wollte meine Neugier befriedigen. Schauen, wer hinter Merania steckt. Wie dort gearbeitet wird. Vielleicht, so dachte ich, könnte ich dort Ton kaufen für mein Atelier. Vielleicht könnte ich meine eigenen Sachen später dort brennen. Glasieren. Und vielleicht könnte ich dort etwas lernen.
Was ich zunächst lernte, war ein Stück Geschichte. Mir kam Raša gleich etwas anders vor als andere Orte, die ich bislang in Istrien gesehen hatte. Die Häuser in Reih und Glied. Alle sahen gleich aus. Wurden offensichtlich gleich geplant, oder ähnlich. Die Eingänge. Die kleinen Gärten. Ein Platz in der Mitte des Ortes wie ein Aufmarschplatz. Säulen-Gebäude. Ein Einfahrtstor wie die Einfahrt in ein Gefangenenlager. Ein hotelartiger Bau, knastähnlich. Das Grün entlang der Häuser und Straßen, Bäume und Blumen, gewachsen erst über die Zeit.






Das Tor zur Merania-Werkstatt war an diesem Tag, einem Samstag, geschlossen. Also kein Werkstatt-Besuch. Die Bilder von Raša freilich gingen mir nicht aus dem Kopf. Zu Recht nicht. Denn Raša ist Zeugnis eines Stücks Vergangenheit, an die man hier in Istrien nicht gern erinnert wird. An Tito ja. An Mussolini lieber nicht. Zumal dann nicht, wenn es darum geht, dass man sich über längere Zeit dem italienischen Faschismus ergeben musste. Raša ist die jüngste Stadt Istriens. Zugleich mahnt sie an eine Geschichte, die vor Istrien nicht halt machte.
Italien hatte Istrien von 1918 bis 1943 besetzt. Raša wurde zwischen 1936 und 1937 in nur knapp 550 Tagen angelegt. Zur Ausbeutung der großen Kohlevorkommen in der Umgebung. Städtische Kolonialisierung Istriens hieß das Programm des Diktators Mussolini. Raša, ein Ort, in dem 6000 italienische Bergleute aus Sardinien, Sizilien, Apulien, dem Friaul angesiedelt werden sollten, wie zu lesen ist. Der Archtitekt: Gustavo Pulitzer Finali aus Triest. Für Raša musste ein See trockengelegt werden, Maurer aus Bergmo kamen und bauten.
Pulitzer hatte die Idee einer vollkommenen Stadt, für Mussolini sollte es die faschistische Idealstadt werden. Mit Kanalisation, Wasserleitungen, Straßenlampen, asphaltierten Wegen. Eingeteilt in eine Oberstadt für Beamte und Verwaltungsangestellte. Und eine Unterstadt für die Bergarbeiter. Daher also das „wohlgeordnete“ Ortsbild, das später auch der deutschen Wehrmacht gefiel. Aber nur kurz, dann befreiten Titos Partisanen Raša. 1966 wurde das Bergwerk geschlossen, seitdem ist es ruhig geworden um die Stadt.




Von all dem wird heute in Raša-Beschreibungen kaum berichtet, und wenn, nur wenig und sehr versteckt. Wer den Ort googelt, wird, etwa auf Touristenseiten, auf eine Stadt für Architekturliebhaber aufmerksam gemacht. Eine Stadt mit moderner Architektur, entstanden 1937. Ausgerichtet auf die Bedürfnisse von Bergarbeitern und ihre Familien. Nur spärlich ist die Rede davon, dass Istrien damals den hohen Preis des Faschismus zahlen musste. Istrien hat viele italienisch-stämmige Bewohner. Vielleicht ist es also Rücksichtnahme.
Als ich einige Wochen später abermals in Raša war, ging es mir um das Schöne von Merania. Ich habe die Geschichte Rašas bei diesem Besuch nicht angesprochen. Und warum davon kaum etwas zu lesen ist. Alles scheint verblasst. Soll verblassen. Nicht ungewöhnlich für solche Orte. An denen Bauten Zeugnis ablegen, irritieren, nachdenklich stimmen. Die Geschichte spiegelt sich, aber es ging und geht mir nicht darum, den Menschen, die dort leben, diesen Spiegel vorzuhalten. Kaum jemand dürfte etwas persönlich damit zu tun haben.
Und wer mag schon vor solch einem Hintergrund dort wohnen und leben? Also belässt man es beim Vergessen. Umso bedachter ist man, wenn man heute Raša begegnet. Daher konzentriere ich mich auf die großartigen Keramiken von Merania. Auf die wundervollen, freundlichen Menschen, die dort am Werk sind. Es sind nur wenige. Aber die betreiben ihr Handwerk mit großer Leidenschaft. Und sind jederzeit bereit für Ratschläge. Verkaufen Ton. Brennen ihn auch, so hoffe ich. Und darauf, dass die Stücke dann heil bleiben wie die Seelen Rašas.
https://merania.hr/en/home/
(Geschichtsfakten u.a. aus wikipedia, sonstige Anleihen von diversen Internetseiten)
https://cjalzumit.wordpress.com/2021/09/08/arsia-rasa-istria/
https://labinska-republika.blogspot.com/2012/02/mussolini-u-rasi-1936-godine.html



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