by

Flucht Oder Einmischung

https://www.n-tv.de/wissen/Studie-Deutsche-igeln-sich-immer-mehr-ein-article24289788.html

Krieg, Krisen. Die Menschen, so die oben genannte Studie (ntv), ziehen sich immer mehr zurück. Suchen die Flucht ins Private. In kleine, überschaubare, vermeintliche Wohlfühloasen. Auffallend, so heißt es, sei die Diskrepanz in Sachen Zuversicht. Nur wenige seien optimistisch mit Blick auf Politik und Gesellschaft, sehr viel mehr auf eher privaten Feldern. Das Konstrukt impliziere auch die Flucht vor Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden. Ignoranz gegenüber der „bösen Außenwelt“. Sofern sie nicht private Interessen berührt.

Wundern kann mich die Studie nicht. Sie gibt Aufschluss über das, was überall spürbar ist. Irgendwann ist einem das Draußen lästig. Krieg und Krisen sowieso. Es liegt aber nicht nur daran, dass Krieg und Krisen an sich schlimm sind und aufs Gemüt schlagen. Es liegt auch an einer bisweilen unnützen Akribie . Im Kleinklein gehen die großen Linien verloren. Immer wieder neue (oft unwichtige) Details können den Blick auf zentrale Hintergründe verstellen. Und das Was, Was, Was verdrängt das wichtige(re) Warum.

Man lernt nicht, Kriege und Krisen zu verstehen. Sich über die elementaren Wesenszüge im Klaren zu werden. Sondern das Hirn wird aufgeweicht durch Kleinigkeiten. Sich in Details zu verlieren hat zur Folge, nur schwierig zu eigenen Haltungen zu kommen. Und wer keine eigene Haltung hat, dem fehlt die Richtschnur zur Beurteilung des Großen Ganzen. Dazu kommt, dass Kriege und Krisen, die heute noch bedeutend sind, morgen durch andere abgelöst werden. Die Halbwertzeit von Erschrecken und/oder Solidarität ist entsprechend kurz.

Das Dasein draußen erlebt dadurch Abnutzung und ruft Ermüdung hervor. Es werden immer neue Säue durchs Dorf getrieben. Und den Menschen wird eingetrichtert, dass jede neue Sau wichtiger ist, als die, die davor die Straßen unsicher gemacht hat. Man verliert peu a peu nicht nur die Konflikte außerhalb der eigenen Welt aus dem Auge, bevor man Standpunkte gewonnen hat. Es fällt in dem Wirrwarr auch schwer, Standpunkte in der privaten Welt zu finden und zu behaupten. Der Mensch wird auf bedeutsame Weise unbedeutend.

Was in der Studie als verständlich suggeriert wird. Als logischer Prozess in einer immer komplexeren Welt. Als Selbstverständlichkeit aus Unverständlichkeit. Ist in Wahrheit ein Abschied von dem, was Demokratie ausmacht. Teilhabe. Einmischung. Zuspruch und Kritik. Empörung und Solidarität. Mitgestalten von Politik und Gesellschaft. Entwickeln und Behaupten von Standpunkten. Haltungen zu Kriegen und Krisen. Sich artikulieren. Sich nicht verstecken. Wer sich einmauert, gibt die Welt und die Menschen darin verloren.

Insofern bemühe ich hier wieder alte Slogans: Das Private ist – ob man es will oder nicht, ob man es so sieht oder nicht – politisch. Wer müde zum Rückzug bläst, hat ja keine Ruhe für sich gewonnen. Denn Politik und Gesellschaft werden, mehr oder weniger offen, andauernd in die Wohlfühloasen vorrücken. In unterschiedlichen Formen und Ausprägungen. Auch das erleben wir gerade. Da macht die Studie Schluss, wo sie eigentlich weiterknüpfen müsste. Die Flucht ist immer trügerisch, weil einen die Realitäten stets einholen.

Es müsste also darum gehen, sich eher den schwierigen Dingen von Politik und Gesellschaft zu stellen. Sich durch die verwirrenden Details zu schlagen, um klare Haltungen zu gewinnen. Ruhe zu finden, indem man sich Kriege und Krisen und ihre Protagonisten genau anschaut. Einen Schritt zurückzutreten und sich nicht mit Tagesparolen gemein zu machen. Kraft zu gewinnen, indem man sich nicht durch die Flut der Ereignisse und ihrer Beurteilungen wahllos mitreißen lässt. Hat man ein gutes Fundament lässt sich auch gut drauf bauen.

Sich ins Private zu verziehen mag verständlich sein, ist aber ein Rückschritt. In einer Welt, die einmal zur Absicht vorgab, von allen gestaltet zu werden. Ruhezonen lassen sich auch mit dem Selbstbewusstsein, dass man in dieser Welt eine Rolle spielt, spielen möchte, finden. Aber wer glaubt, sich vermeintlich völlig aus der Wirklichkeit verabschieden zu können, verabschiedet sich gänzlich aus diesem Leben. Und überlässt die, die nach ihm kommen, denen, die denken, dass sie Kriege und Krisen schon irgendwie richtig bewältigen.

Da können wir derzeit aber exemplarisch zuschauen, wie schön schief das geht: In der Klimapolitik, dem Russland-Ukraine-Krieg, der Flüchtlingspolitik. Die, die für sich in Anspruch nehmen, das alles schon richtig zu steuern, manövrieren gerade die Welt in ein absehbar unlösbares Dilemma. Das wird auch die Wohlfühloasen auf Dauer ungemütlich machen. Versuchen wir also, dem Dilettantismus der Politik in die Parade zu fahren. Mit Klimaklebern, Friedensaktivisten und mit einem großen Herz für ALLE Flüchtlinge.

Hinterlasse einen Kommentar