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Ach , Sarajevo!

Mag sein,dass ich Sarajevo ein bisschen verkläre. Aber die Atmosphäre in dieser Stadt war auf der kleinen Reise durch Bosnien-Herzegowina so wunderbar, dass ich nicht anders kann. Oder dass ich nach meinen Eindrücken in Kroatien, das ich im Großen und Ganzen ziemlich verschlossen, wenig weltoffen und noch sehr der Vergangenheit verhaftet empfinde, eine Art Glücksflash hatte. In jedem Fall ist Sarajevo eine Reise wert. Ein Eintauchen in Geschichte und Gegenwart. Mir hat es einmal mehr die Erkenntnis gebracht, dass Vielfalt und Menschlichkeit das sind, was die Welt braucht. Und nicht konservative und rechte Ressentiments.

Ach, Sarajevo! Gezeichnete Stadt. Gezeichnet vom Krieg. Gezeichnet von neuem Auferstehen. Gezeichnet von Gegensätzen, Ressentiments, Massenmord. Von Katholizismus, Serbischer Orthodoxie und Islam. Von Menschen, die unter Tito halbwegs friedlich zusammenlebten. Sich dann die Köpfe einschlugen. Und heute – allem Unglück und politisch-religiösem Eifer und Vernichtungsdrang zum Trotz – versuchen, wieder so etwas wie eine ethnische und ethische Balance hinzubekommen. Man spürt den Willen überall.

Die Fahrt nach Sarajevo. Durch die (Teil)Republik Srpska. Zeigt noch das alte Dilemma. Eine nicht wirklich zu Bosnien-Herzegowina gehören wollende, politisch verbohrte Region. Je näher wir Sarajevo kommen, desto häufiger ragen Minarette aus den Ortschaften. Hört man die Rufe der Muezzin von Türmen herab. Mitten in Häusergruppen hinein, die auch in Bayern stehen könnten. So wohl geordnet wirkt alles. Mitten hinein in weithin sattgrüne, hügelige Landschaften, die Bosnien-Herzegowina prägen.

Dann tut sich die Hauptstadt Sarajevo auf. Und mit ihr nicht mehr gefürchtetes Überleben. Sondern Leben. Ein Leben, das weltoffen wirkt. Im Kern und Drumherum. Eine Stadt, die den Eindruck erweckt, das Schreckliche nicht vergessen zu wollen. Dies aber mittlerweile als Mahnung, Gräben zu überwinden. In einem Gebäude wird des Massakers von Srebrenica gedacht. Foto für Foto, Text für Text trifft das Ungeheuerliche auf Besucher, die nicht glauben können, dass die Welt dem Morden tatenlos zugeschaut hat.

Auf den Straßen die Einwohner von Sarajevo. Die freundlich wirken, aufgeschlossen. Als würden sie sagen wollen, dass Gewalt und Schande, Gram und Schmach, Schuld und Sühne nicht Koordinaten der Zukunft sein dürfen. Dass Religionen keine Aufforderung sind, übereinander herzufallen. Dass sie respektvoll nebeneinander oder miteinander existieren können müssen. Hinter vielen Gesichtern verbergen sich schwere Traumata. Sie, so ist allenthalben zu hören, dürfen aber nicht neuen Hass schüren.

Moscheen, Kathedralen. Der alte jüdische Friedhof. Er Erinnert an Grausamkeiten, die Jahrzehnte zurück liegen. Weshalb die Grausamkeiten der 90er Jahre besonders erschreckend sind. Wir haben gelernt. Wir wollen lernen. Und weiter lernen. Nicht das Böse, das Gute. Zeigen die Gesten, die Bewegungen, der Umgang vor allem der jüngeren Menschen in Restaurants und Cafés. Ungezwungen und entspannt sitzen sie da. Plaudern mit Gästen aus aller Welt. Reißen gutgelaunt Sprachbarrieren ein.

Vielleicht ist Sarajevo eine kleine Insel auf dem Westbalkan. Geworden, um zu beweisen, dass Geschichte nicht ungeschehen zu machen ist. Dass man ihr aber etwas betrotzen muss. Die Zuversicht, dass es auch anders geht. Nicht weil andere einen dazu auffordern. Oder gar zwingen. Sondern weil es die Einsicht gibt, dass Vielfalt ein Geschenk ist. Etwas, das man sich nicht durch Nationalismus oder anderweitige Feindschaften verspielen lassen darf. Da erscheint Sarajevo heute weiter als viele andere Orte Europas.

Auch als viele andere Orte, die längst Mitglied der Europäischen Union sind. Sarajevo könnte, so mag man meinen, als eine Art Blaupause dienen. Abseits derer, die schon etwa an der Kleidung zu erkennen glauben, wes Geistes Kind die sind, die sie tragen. Abseits derer, die, wie in Kroatien, bei jeder Gelegenheit die in nationaler Selbstgefälligkeit getränkten Fahnen schwenken. In Sarajevo herrscht, so mein Gefühl, dieser Tage ein Geist, der Trennendes überwindet und als Bereicherung begreift.

Sarajevo gibt mir in diesen Tagen das Gefühl, dass es auch anders geht. Anders, als mit Argwohn. Mit katholischer, serbisch-orthodoxer oder muslimischer Überheblichkeit. Oder gar dem Anspruch, Weisheiten und Rechte per Nationalität, Religion oder Ethnie für sich gepachtet zu haben. Der Geist, der der Stadt mittlerweile innewohnt, hat nachahmenswertes Potenzial. Gerade für Städte (und Länder) mit einer derartig monströsen Geschichte. Und gerade für Orte und Menschen auf dem Westbalkan.

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