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Anti Anti-Semitismus

Im Grunde ist Antisemitismus ein klar definierter Begriff. Er bezeichnet Judenfeindschaft, Judenhass. Die Stigmatisierung der Juden. Ihre Diffamierung. Juden werden negative Eigenschaften unterstellt, um sie zu diskriminieren, zu unterdrücken, zu verfolgen, zu vertreiben. Und – so der Gau der deutschen Nazi-Herrschaft – ihre Leben gänzlich auszulöschen. Wer in diesen Sinnen handelt, spricht, darf zweifelsohne als Antisemit verurteilt werden. Moralisch. Aber auch, wenn es der Tatbestand hergibt, strafrechtlich. Die Geschichte ist voll von Antisemitismus und Antisemiten. Von Hass und Feindschaft gegenüber Juden. Sie ist voll von Tätern und Opfern.

Täter waren und – durchaus: sind Christen. Waren und sind Muslime. Extreme und Extremisten von links und rechts. Mal gab und gibt sich ihr Antisemitismus offen und gewalttätig. Bis hin zu brutalem Terror und Vernichtung. Mal kommt er mehr oder weniger versteckt daher. Perfide. Camoufliert. Die Opfer sind immer die Juden. In aller Welt. Und in Israel. Seit es das Land gibt. Und, auch darüber sollte es keinen Zweifel geben: Wer derart angriffen wird, mit welchen Waffen auch immer – verbal, mit Schmiererreien an Synagogen, Messern, Raketen -, hat gutes Recht, sich zu verteidigen. Als Jude und als Mensch, der in seiner, auch religiösen Würde verletzt wird.

Die Täter müssen ohne wenn und aber verurteilt werden. Die Opfer ohne wenn und aber unseren Schutz garantiert bekommen. In Deutschland. Überall. Auch und vor allem in Israel. Dass es jenseits jüdischen Lebens ausreichend Feindschaft gibt, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Aber Religionen und ihre Anhänger hatten in der Glaubensgeschichte neben äußeren Feinden auch immer wieder innere Feinde, die ihnen ein friedliches Dasein unmöglich machten. Die äußeren Feinde sind in der Regel leicht auszumachen. Auch im jahrzehntelangen Nahost-Konflikt. Die inneren Feinde vertrauen darauf, dass sie nicht so leicht zu erkennen sind.

Wenn man davon ausgeht, dass Anti-Antisemitismus die Existenz und das Existenzrecht Israels einschließt. Mitsamt der jüdischen Bevölkerung. Darf man dann fragen, wer – außer den Feinden von außen – das Existenzrecht möglicherweise von innen gefährdet? Darf man fragen, ob die Politik der israelischen Regierung(en) nicht (auch) Züge trägt, die das Existenzrecht und die Existenz des Staates Israel mittelbar aufs Spiel setzen? Wie gefährdet sind die Juden und ihr Staat durch den Staat und seine Politik selbst? Der sich angreifbar macht. Moralisch und politisch. Weil er anderen verweigert, was er für sich in Anspruch nimmt. Friedliches Leben. Einen eigenen Staat. Eigene Würde.

Netanyahu, der sagt, die jüdische Bevölkerung in seinem Land schützen zu wollen, gibt sie nicht nur einer rechtsstaatlich fragwürdigen Politik preis. Um seiner Macht Willen, die von allerlei strafrechtlich relevanten Skandalen ins Wanken geraten ist. Weshalb Millionen Menschen gegen ihn auf die Straße gegangen sind, um den Staat und seine Bewohner, auch und gerade die jüdischen, vor antidemokratischem Unheil zu bewahren. Er gibt die Juden in Israel auch der Fortsetzung einer Politik preis, die seit langem, nicht erst seit dem neuen Hamas-Terror, durch ihre Unversöhnlichkeit gegenüber den Palästinensern Feindschaft und Unverständnis schürt statt dem entgegenzuwirken.

Es gibt Berichte, wonach es ein Konzeptpapier des israelischen Geheimdienstministeriums geben soll. Das Papier, so habe das Büro von Ministerpräsident Netanyahu erklärt, bedeute nicht unbedingt, dass die darin enthaltenen Empfehlungen auch tatsächlich in Betracht gezogen würden. Aber wenn, dann hieße das, so die Berichte, dass die Palästinenser im Gaza-Streifen, aus dem der Hamas-Terror kam, auf die ägyptische Sinai-Halbinsel vertrieben würden. Das führte die Palästinenser weiter weg von einem eigenen Staat. Und die Region weiter weg von einem existenziell notwendigen Frieden. Einem Frieden für alle. Auch für die Juden in Israel und ihren Staat.

Dem bekannten Publizisten und ehemaligen Leiter des Fritz-Bauer-Instituts Micha Brumlik wurde mal die Frage gestellt, ob es so etwas wie einen jüdischen Antisemitismus geben könnte. Er würde, antwortete er, nicht so weit gehen zu sagen, dass es jüdischen Antisemitismus gibt, aber was es auf jeden Fall gibt und auch in der Geschichte immer gegeben hat, das waren Juden, die sich antisemitisch geäußert und auch antisemitisch gehandelt haben. Ich möchte das nicht weiter kommentieren. Das steht Micha Brumlik als Kind jüdischer Eltern zu. Nicht mir, als ungläubigem Deutschen. Aber die Politik Israels zu kommentieren und zu hinterfragen, das billige ich mir allemal zu.

Feindschaften abzuschwören ist gerade in diesen Tagen Aufgabe der Palästinenser plus ihrer führenden Köpfen und der israelischen Regierung. Einige wahrnehmbare Stimmen packen – auch im Moment größten Unglücks und größter Trauer – erneut die Idee einer Ein-Staaten-Lösung aus. Ein Staat, in dem Juden und Palästinenser friedlich unter einem Dach leben. Unter dem sich Demokratie und Rechtsstaat beweisen müssen. Sicherheit für die Juden, Sicherheit für die Palästinenser. Keine Diskussionen mehr, wem welches Land gehört. Dafür Diskussionen, wer, auch im größten Eifer des Glaubens, andere gelten lässt, wer nicht. Und wer gegebenenfalls zur Rechenschaft gezogen wird

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