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Solo Für Krpan

In den Herbst- und Wintermonaten ist die istrische Hafenstadt Pula tot. Alles ertrinkt in einem trübseligen Grau. Die Fassaden unterscheiden sich kaum vom Asphalt. Und der Asphalt kaum von den Gesichtern der Menschen. Alles Leben scheint erloschen. Nach außen. Man verkriecht sich hinter die Mauern. Oder für einen Moment in eines der eher trostlosen Cafés. Da sitzen wir auch. Wir haben noch ein paar Minuten Zeit. Die reichen für einen kleinen Wein. Dann geht es zum Theater. In dem spielt heute der kroatische Pianist Vladimir Krpan. Ein Musiker, der weit rumgekommen ist. Krpan setzt sich an den Flügel. Und es wird Licht.

Vladimir Krpan feiert Geburtstag. Er ist jetzt 85. Seine Hände freilich gleiten über die Tasten, als hätte er noch ein ganzes Leben vor sich. Scarlatti, Bach, Beethoven. Chopin. Notenblätter braucht Krpan nicht. Er hat die Musik im Kopf. Vom Kopf fließt sie über die Saiten des Flügels herauf ins Publikum. Da sitzen viele, die ihn kennen. Und viele, die ihn gerade kennenlernen. Und spüren, wie nahe diesem Menschen da vorne, ein paar Meter weit weg nur, alles geht. Die Klassiker, ihre fantastischen Kompositonen. Sein Alter. Wenn er etwas verschnaufen muss zwischen den Stücken. Hingabe kostet Kraft. Aber sie spendet auch Energie.

Krpan ist in einem kleinen Städtchen aufgewachsen. Sveti Ivan Zelina. Nicht weit von Zagreb. Dort hat er studiert. Außerdem in Rom, Arezzo, Siena, Bergamo Lugano. Er ist viel und weit gereist im Laufe seiner Karriere. Trat in den USA auf, im Iran, in Russland, Thailand, Indien, in der Türkei und Südkorea. Er spielte eine ganze Reihe von LPs und CDs ein. Brachte anderen das Klavierspielen bei. Kurzum: Er machte sich einen Namen, international. Als Interpret und Lehrer. Eine seiner Schülerinnen war seine Tochter, deren pianistischer Ruf, wie der ihres Vaters, längst weit über die Grenzen Kroatiens hinaus reicht. Eine schöne Erbschaft.

Der vererbt, geht an diesem wunderbaren, dann doch sehr lebendigen Abend in Pula, hin und wieder von seinem Platz am Flügel hinter die schwarzen Vorhänge. Nur, um gleich wieder hervorzutreten. Fast zwei Stunden lässt er sich, auf dem Hocker sitzend, in die Musik fallen – und verliert doch nie den Kontakt zu den Menschen, die da aufmerksam lauschen. Er ist vertieft, wirkt bisweilen abwesend – und ist doch so präsent, wie man nur irgend sein kann. Die Hand, die Vladimir Krpan hin und wieder auf sein Herz legt, als Zeichen der Verbundenheit, mit der Musik und den Zuhörern, verbindet auch uns mit ihm, diesem Menschen, der da spielt.

Alle Atmosphäre ist, an diesem Tag zu Wochenbeginn im Theater von Pula, in pulsierende Vitalität getaucht. Die Sonaten, alle kleinen Werke der berühmten Komponisten, haben bei Vladimir Krpan den Stellenwert, den sie verdient haben. Er interpretiert sie auf seine Weise, mit seiner eigenen Dynamik, mit seiner Liebe, seiner technischen Finesse. Scarlatti, Bach, Beethoven, Chopin: Sie bekommen nochmal ein neues Leben geschenkt. Ein Krpan-Leben gewissermaßen. Und man kann nur wünschen und hoffen, dass Vladimir Krpan noch lange die Lust und die Kraft hat, diese Leben weiterzugeben. Und immer weiter und weiter.

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