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Àpropos Klein Geist

Frau Selenska, Gattin des namensähnlichen Präsidenten der Ukraine, hat offenbar, so ist bei ntv zu lesen, einen Besuch in Washington abgesagt. Grund, an der Rede zur Lage der Nation (USA) nicht teilzunehmen, so wird vermutet, ist aber kaum von der Hand zu weisen, also eher sicher, ist die gewünschte Anwesenheit der russischen Nawalny-Witwe Nawalnaya. In deren Nähe, auch in Nähe der amerikanischen First Lady, sollte Selenska sitzen, heißt es. Es hätte ein Symbol sein können. Dass sich abseits umstrittener Krim-Kommentare vor zehn Jahren aus dem Nawalnaya-Munde trotz des Kriegs doch so etwas wie Anti-Kreml-Solidarität zeigt. Was etwas wert gewesen wäre.

Aber nichts von alledem. Selenska hat abgewunken. Und auch Nawalnaya habe nicht die Absicht, in die USA zu reisen. Weil sich das in der Trauer um ihren mittel- oder unmittelbar von der Kreml-Mafia ermordeten Mann verbiete. Irgendwie verzwackt. Irgendwie eine verlorene Chance. Noch etwas anderes schwingt mit, was übler ist, als politischer Kleingeist, der in der Situation wirkt. Dass nämlich Kiew schon jetzt, in einer Mischung aus halten und vorbauen, dem Biden-Haus die Schulter nicht allzu sehr zudrehen mag – und sich statt zu sehr den Demokraten vorsorglich auch den Republikanern des wahn“witzgen“ Wiedergängers Trump zuwenden will.

Es ist immer wieder schade, wie Möglichkeiten des Gemeinsamen Beleidigtsein und Kalkül entgegenstehen. Es scheint so, als ließe sich an der Cause Selenska/Nawalnaya ablesen, wie die Gemüter, auch die politischen, an die sich das Ganze koppelt, ticken. Schon bei der Oscar-Verleihung für einen Dokumentar-Film über Nawalny 2023 hatte es Kiew Nawalnys Frau übel genommen, in ihrer stellvertretenden Dankesrede nicht den Angriffskrieg ihres Landes gegen die Ukraine erwähnt zu haben. Besser wäre es gewesen. Aber deswegen jetzt auszuschlagen, sich mit Frau Nawalny in furchtloser Kreml-Feindschaft an einen Tisch zu setzen?

Derartige Rochaden von Eingeladensein und Absagen verlieren sich, auch angesichts noch so komplizierter Sachlagen in nichts weiter als Plumpheit. Es gibt, so ist unschwer zu erkennen, nichts mehr, was einem dem Krieg und meinetwegen Vorkrieg übergeordneten Interesse dienen könnte. Selenskas Absage, so lässt sich erahnen, ist der mehr oder weniger offenen Absicht geschuldet, nicht nur Russland, sondern allen Russen, ob Kreml-treu oder Opposition, die mit ihrem Leben spielt und um ihr Leben fürchten muss, quasi das Existenzrecht abzusprechen. Was, nur mal so am Rande, in etwa dem gleich kommt, Israel das Existenzrecht abzusprechen.

Vielleicht ist die Frage, wer am Ende, wenn überhaupt, wo und in welcher Tischordnung zur US-amerikanischen Rede zur Lage der Nation Platz nimmt, an sich vergleichsweise politisch wurscht. Und doch lassen sich an diesen Mikroereignissen die Macrobewegungen festmachen. Und es lässt sich daran ablesen, wie sehr Politik und ihre wie auch immer gefügten Anhängsel der doch einigermaßen aussöhnungsunwilligen jeweiligen Nomenklatura unterliegen, wenn nicht gar im Zweifelsfall ausgeliefert sind. Man könnte meinen, dass die ukrainische Politik doch Interesse daran haben müsste, die Opposition in Russland auf ihre Seite zu ziehen.

Doch das passt eben nicht in das in jeder Hinsicht nicht nur unnachgiebige, sondern auch geopolitisch starrsinnige Konzept von Sieg und Niederlage. Bei dem jedwede Projektion auf eine friedliche Zukunft uninteressant scheint. Sondern, Zerstörungen hin, Tote her, es allein wichtig ist, dem Feind und denen, die ihm bislang noch im eigenen Land vermeintlich kritiklos Folge leisten, einen gegebenenfalls komplett vernichtenden Schlag zu versetzen. Andere Kategorien haben da keinen Platz. Auch nicht am Tisch des amerikanischen Präsidenten. Es geht nicht um Verbünden, sondern um Krieg. Da schert das Geschirr im Weißen Haus nicht.

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