Zwei Berichte zum Thema Kriegsverbrechen und Menschenrechte lassen derzeit aufhorchen. Weil sie deutlich machen, wie sehr internationales Recht, je nach politischer Interessenlage, gebeugt wird. Da ist zum Einen der Bericht über einen Prozess in Frankreich. Dort geht es um Assads Schergen („Der Tagesspiegel“). Drei angeklagten Syrern wird vorgeworfen, als Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes für den Tod von zwei französischen Staatsbürgern verantwortlich zu sein. Die beiden seien jahrelang in einem berüchtigen Gefängnis festgehalten und, so die Vermutung, wie viele andere Gefangene des Geheimdienstes, tödlicher Folter ausgesetzt worden.
Zum Anderen ist da der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) , der jetzt einen internationelen Haftbefehl gegen drei Hamas-Führer sowie gegen den israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu erwirken will. Beide Male wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bei der Hamas geht es um das Massaker vom vergangenen Oktober. Bei Netanyahu um die Einsätze gegen die Hamas im Gaza-Streifen, der bislang allerdings auch tausende Zivilisten das Leben gekostet hat. Es ist gewiss mehr als unglücklich, ja durchaus skandalös, beides in einen Topf gerührt zu haben. Aber ist das wirklich die Frage, die sich einem hier vordringlich stellen sollte?
Der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, hat mit einer Art Gleichsetzung der Hamas-Massaker und Geiselnahmen und dem Vorgehen Isarels in Gaza den Kritikern seiner Strategie einen Bärendienst erwiesen. Aus westlichen Staaten wie den USA und Deutschland, seitens der israelischen Regierung sowieso, hagelt es heftige Vorwürfe. Interessant ist freilich, dass sich die Vorwürfe vor allem darauf beziehen, dass Kahn die Haftbefehle in einem Antrag erwirken will. Und er damit Hamas und die israelische Regierung auf eine Stufe stelle. Zu den Anklagepunkten selbst wirkt die Kritik eher kleinlaut. Frankreich stützt sogar eher den IStGH-Ankläger und seine Unabhängigkeit …in allen Situationen.
Aber das scheint eher eine Einzelmeinung zu sein. Weshalb weder die Hamas-Führer noch Ministerpräsident Netanyahu und der übrigens Mitangeklagte Verteidigungsminister Yoav Gallant befürchten müssen, demnächst irgendwo auf der Welt in Handschellen abgeführt zu werden. Selbst mit Haftbefehlen, über die noch entschieden werden muss, ist die Macht des IStGH eher begrenzt. Bislang gab und gibt es Haftbefehle wegen diverser Verbrechen vor allem gegen Angeklagte aus afrikanischen Staaten. Etliche wurden verurteilt, andere freigesprochen, manchen Verfahren versickerten. Es gibt Flüchtige und solche, die eher symbolhaft unter Anklage stehen und gesucht werden.
Man kann sich in den meisten Fällen nur schwerlich erinnern, dass es, außer aus dem Lager der Betroffenen, jemals einen nennenswerten Aufschrei gegen den IStGH gegeben hätte. Im Gegenteil. Die Arbeit des IStGH, der derzeit von 123 Vertragsstaaten, darunter alle Staaten der Europäischen Union, wurden jeweils belobigt und auf verschiedenste Weise unterstützt. Prominentester unter den zuletzt mit Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen Gesuchten ist der russische Präsident Putin. Und das ist gut so. Sein Angriffskrieg gegen die Ukraine ist völkerrechtswidrig und voller Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Warum also sollte Putin geschont werden?
Gleiches freilich sollte nicht nur für die Hamas gelten, sondern auch für Mitglieder der israeliischen Regierung. Wer sich auf das Recht zur Verteidigung beruft, kann nicht in diesem Sinne ein Recht zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit herleiten. Darauf hat etwa die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney hingewiesen, die zu den juristischen Sachverständigen gehört, die dem IStGH die Erwirkung betreffender Haftbefehle empfohlen hatten. Sie erklärte, dass das Gesetz, das Zivilisten im Krieg schützt, vor mehr als 100 Jahren ausgearbeitet worden sei und dass es in jedem Land der Welt gelte, ungeachtet der Gründe für einen Konflikt. So sollte es sein.
Es gibt allerdings berechtigte Zweifel, dass es so ist. Dass Israel und die USA neben beispielsweise Russland und dem Sudan der Einrichtung und den Kompetenzen des IStGH ihre Unterschrift verweigerten, stellt Israel und den Vereinigten Staaten nicht unbedingt ein überzeugendes Zeugnis aus. Die Unterschriftsverweigerer sind, aus unterschiedlichen Gründen, Staaten, die mittlerweile allesamt völker- und/oder menschenrechtlich zumindest äußerst fragwürdig unterwegs waren oder sind. Attackieren sie den IStGH, darf man davon ausgehen, dass sie sich Wege bahnen wollen, es hin und wieder mit Völker- und Menschenrecht nicht zu ernst nehmen zu müssen.
Mehr als perfide kommt auch die US-amerikanische Kritik daher, der IStGH sei für Israel, weil der Staat dem IStGH nicht sein Plazet gegeben habe, nicht zuständig. Würden die USA auch im Falle des Sudan so argumentieren? Ich denke nicht. Auch Syrien hat den Vertrag über den IStGH bisher zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Hat man Einspruch gegen die Verfolgung syrischer Geheimdienstmitarbeiter erhoben? Ich wüsste nicht. Die Ukraine hat den Vertrag ebenfalls nicht ratifiziert. Aber vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf das Land die Gerichtsbarkeit durch den IStGH rückwirkend anerkannt. Warum nicht konsequent dem Vertrag beitreten?
Unter dem Strich zeigt die Auseinandersetzung zweierlei auf: Zum Einen werden Völker- und Menschenrecht nach wie vor nicht als das wahrgenommen, was sie sind. Nämlich universale Rechte, die für jeden zu gelten haben. Unabhängig von jeweiligen politischen Intensionen. Sonst können wir diese Rechte auch abschaffen. Das wäre in den Augen mancher vielleicht sogar wünschenswert – in meinen Augen sogar aufrichtiger. Dann wüsste man besser und offener, woran man ist. Wie sich die deutsche Außenministerin versucht, politisch durchzuwursteln, in dem sie den Schutz von Zivilisten in Gaza anmahnt und Realitäten Konsequenzen verweigert, geht es jedenfalls nicht.
Um Wirklichkeitsverweigerern die Augen zu öffnen, bedarf es nur den Blick auf das deutsche Strafrecht. Dort wird, gibt es für die Staatsanwaltschaft einen begründeten Verdacht auf ein Verbrechen, ermittelt und gegebenenfalls Anklage erhoben. Der Betroffene wird gesucht, damit das Verfahren, an dessen Ende eine Verurteilung stehen kann, aber nicht muss, in Gang kommt. Das ist eine Vorgehensweise, die in Deutschland von niemandem in Frage gestellt wird. Es gibt keinen Grund, warum Deutschland dies dann international unterlaufen mag. Außer politische Gründe. Aber die haben im Strafrecht keinen Platz. Bis auf Weiteres gilt für unsere Gerichte, dass sie unabhängig sind.

Hinterlasse einen Kommentar