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Das Trügerische Newsletter

Lieber Andreas Mijic, guten Morgen! Mit diesen freundlichen Worten hat mich heute, an einem sonnigen Sonntag, der SPIEGEL-Redakteur Dirk Kurbjuweit geweckt. Das fand ich, an diesem noch frühen Tag, nett. Was dann, im Text, folgte, hat mich freilich ungewöhnlich abrupt wach gerüttelt. Ich weiß nicht, ob sich der Kollege, so darf ich ihn mal nennen, auch wenn ich dem aktiven Job-Leben aus Altersnotgründen den Rücken gekehrt habe, einen dummen Scherz erlauben wollte, ob er nicht erkannt hat, was er da schrieb – oder ob ihm einer der berühmten sieben Sinne abhanden gekommen ist.

Jedenfalls fing seine Begrüßungsarie schon trügerisch an. Zugegeben, rechts zu sein ist in der Bundesrepublik schwierig, hieß es da. Weil Nazis…den rechten Rand in der deutschen Geschichte markierten. Und es keiner rechten Partei bis 2017 gelungen sei, nationale Gesinnung überzeugend von der Hitlerzeit abzugrenzen. Bis, ja bis die AfD vor sieben Jahren in den Bundestag eingezogen sei, als Zeichen einer scheinbar parteipolitischen „Normalisierung“. Doch die AfD schaffe es Dank Leuten wie Maximilian Krah, der sich freundlich über die SS geäußert habe, einfach nicht, das NAZI-Schmuddel-Image loszuwerden.

Während die italienischen und französischen Rechtsaußen nach der Mitte schielen, sei die AfD ins Rechtsextreme gekippt. Und weiter: Natürlich können auch Deutsche mit Anstand rechts sein, aber eine passende Partei finden sie dafür nicht. So, so. Die AfD war im Grunde nicht von Anfang an rechtsextrem, sie sei da irgendwie hingekippt. Und man kann, wie die Melonis und Le Pens, mit Anstand rechts sein. Was immer Dirk Kurbjuweit geritten haben mag, dem rechten Lager in Europa und dem der AfD mit Ausnahmen wie den Krahs und Höckes mittelbar Anstand zu bescheinigen, Sinn für Anstand kann es nicht gewesen sein.

Aber das ist offenbar die Krux der politischen Gegenwart. Je extremer der Rand der Rechten wird, wo auch immer, desto hoffähiger werden die, die mit den Worten Kurbjeweits ja durchaus in der Lage sind oder wären mit Anstand rechts zu sein. Mit Anstand rechts, das kann, wenn man die Programme der italienischen und französischen Rechten und einen vermeintlich noch gerade so akzeptablen rechten Flügel der AfD meint, nur eine Mischung aus Europafeindlichkeit, Ausländerhass und wachsendem Nationalismus mit all seinen Facetten sein. Versteht das Kurbjuweit unter Anstand?

Mir scheint, dass die Doktrin von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der Journaille fast schneller aufgeht als im Mitte-Spektrum der CDU. Die, derzeit zumindest, nicht gerade glücklich ist über die öffentlichen und mehrfach verteidigten Avancen, die von der Leyen dem Kreis etwa der italienischen Regierungschefin Meloni macht. Die sich in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) eingerichtet hat. Die Fraktion gibt sich nicht als sonderlich europazugewandt und ist rechtspopulistisch. Was, wenn Machtarithmetik zählt, nicht vom Schmusekurs abhalten kann.

Womöglich ist es dieses Virus, das gerade auf besonders feinsinnige Redakteure auch beim SPIEGEL übergreift: Sich in der Vorstellung, man könne die Rechte aufhalten, in dem man ihr mit Ausnahmen so etwas wie Anstand zutraut, zu verirren. Verirrung, das wäre noch die harmlose Interpretation. Ihr ist die Einsicht immanent, dass es noch ein Zurück gibt. Womöglich ist Journalisten à la Kurbjuweit aber auch die Tragweite ihrer Einlassungen bewusst. Dann wäre dies nicht harmlos, sondern übel verharmlosend. In dem man Meloni, Le Pen & Co tatsächlich eine irgendwie (noch) anständige Haltung zubilligt.

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