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Europa Zu Anti-Europa

Europa hat gewählt. Aus Europa wird im Kern ein Anti-Europa. Jedenfalls dann, wenn man mit Europa ein humanes, auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Weltoffenheit setzendes Europa meint. Rechte und rechtsextreme bis hin zu postfaschistischen Parteien gewinnen tragisch an Einfluss. Beherrschen in mehr Ländern als bisher die politische Agenda, stellen bereits die Regierung (zB Italien) oder schicken sich dazu an (zB Frankreich). Europa wird bloß noch das Etikett sein, hinter dem sich die Restauration von Nationalstaatlichkeit und Nationalismus verbirgt. Abschottung und Grenzziehungen sind programmiert.

Ein Aspekt der Entwicklung: Je weiter in einzelnen Staaten die faschistische Ära zurück liegt, desto weniger scheinen sich Wähler erinnern zu wollen. In Italien Mussolini, in Frankreich das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime, in Deutschland die Hitler-Diktatur samt Mordes an sechs Millionen Juden und an Widerständlern. In Ländern, in denen ein Großteil der Wählenden noch erlebt haben, was es bedeutet, wenn Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde mit Füßen getreten werden, sieht das Wahlergebnis mit Blick auf die extreme Rechte anders aus. In Spanien etwa oder in Portugal.

Die Idee von einem liberalen Europa wurde in der vergangenen Legislatur – bis auf Italien – von Regierungsseite vor allem an der territorialen Rändern angegriffen. Attacken auf ein integres Europa kamen beispielsweise aus Polen oder Ungarn. Mit der Europawahl werden Angriffe verstärkt auch aus der territorialen Mitte heraus erfolgen. Weil etwa Frankreich demnächst vom Rassemblement National von Le Pen regiert werden könnte. Und weil die Ampel-Parteien sich zum Steigbügelhalter einer christdemokratischen EU-Chefin machen, die kaum Berührungsängste gegenüber der Rechten zeigt.

In Deutschland haben SPD und Grüne gezeigt, wie schnell alte Versprechen von Frieden, Klimaschutz und einer Menschen und ihre Rechte achtenden Migrationspolitik über den Haufen geworfen werden. Plakate, die von Frieden künden, sind die Druckfarben nicht wert, die für sie bezahlt wurden. Flüchtlingspolitik kippt um in Abschiebe-Fantasien. Klimaschutz ist längst nicht mehr Priorität. Das Fazit: Es hat nichts gebracht. Außer dass im linksliberalen Spektrum das Geschirr zerschlagen wurde und mithin eine Menge Vertrauen verloren gegangen ist. Die Quittung ist bitter.

Das Ergebnis ist freilich absehbar gewesen. Wer derart bereit ist, sich von Konservativen a la Merz und einem rechtsextremen Lager, das um die AfD herum immer widerlichere Gestalt annimmt, die eigene Haltung vorturnen zu lassen, muss scheitern. Wer Opportunismus vor Integrität setzt, sich bei Bellizisten und Ausländerfeinden einschleimt, muss in Rutschen kommen. Wer dazu noch vor lauter populistischer Stromlinienförmigkeit sozialpolitische Ziele aus dem Auge verliert und sich von einem Militaristen wie Boris Pistorius den Wunschzettel schreiben lässt, darf sich nicht wundern.

Jammern nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, klingt ohnehin nicht nach ehrbarer Verletzlichkeit, sondern nach Larmoyanz. Wer in der Politik an die Macht kommen und sie behalten will, braucht nicht nach, sondern vor der Wahl die richtige Beratung. Die These, dass das Original am Ende glaubwürdiger ist als die Kopie, ist eine Binse. Aber noch nicht bei Scholz, Habeck und Co angekommen. Mangelnde Courage und fehlender Realitätssinn haben sich noch nie wirklich ausgezahlt. Eine Melange aus Widersprüchen lässt sich einfach nicht gut verkaufen.

Emmanuel Macron muss das, zu spät, ebenso einsehen wie Bundeskanzler Scholz und seine sozialdemokratische und grüne Entourage. Und, so ist zu befürchten, ebenfalls zu spät. Europa wird an die Wand gefahren. Von denen, die das ohnehin zum Ziel haben. Und von denen, die das mehr oder weniger fahrlässig zugelassen haben und sich nun winden. Es darf allerdings nicht mit einer politisch linksliberalen Inventur gerechnet werden. Sondern damit, dass weiter ängstlich auf jene geschaut wird, von denen man zu Recht annimmt, dass in ihren Köpfen vor allem Stroh steckt.

Stroh aber brennt in Windeseile – und in Windeseile auch Europa ab! Dass überall schon die Feuer lodern, sollte nicht dazu führen, weiter Öl ins Feuer zu gießen. Genau das aber wird gemacht. Die Kannen liefern derzeit auch landauf, landab die Medien, die offenbar mehr denn je Lust dabei empfinden, zu demontieren. Oder weil sie per se ins Konservative und Rechte abdriften. Constructive Journalism, Fehlanzeige. Analyse schlicht. Kommentare zu Hauf aus der Hüfte geballert. Hauptsache, es fällt am Ende jemand tot um. Wildwest, von Merz&Co abgekupfert. Eine Tragik für sich.

Selten bis gar nicht sind im Zuge der Europawahl-Ergebnisse vom Mainstream abweichende Meinungen zu finden. Die Medien, je näher an Berlin, umso gefälliger, wollen schon verbeugend auf der Siegerseite stehen. Und glauben, wer da aufs Podest steigt und Gold gewinnt, hat auch Recht. Bloß nicht am Edelmetall kratzen und offenbaren, dass darunter nur billiges Metall ist. Und hoffen, dass aus scheinbar guten Gründen für das Aus der einen nicht Abgründe für Alle werden. Von der Leyen, Meloni und Le Pen? Kollateralschäden. Hauptsache die anderen kommen hässlich rüber.

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