Seitdem die palästinensische Terror-Organisation Hamas am 7. Oktober 2023 ihren verheerenden Angriff auf Israel gestartet hat, mit all ihren fruchtbaren Folgen, steht in der Antisemitismus-Debatte in Deutschland kein Stein mehr auf dem anderen. In Anlehnung an den jüdischen Brauch, Steine auf die Gräber der Toten zu legen, als Zeichen stiller Anteilnahme, könnte man auch sagen: Es ist laut geworden um die Frage von Terror und israelischer Gegenwehr. Der Konflikt um Ängste im Land, um den Kampf gegen Antisemitismus verschärft sich.
Wer den Schutz von Jüdinnen und Juden sowie Israels für unabdingbar hält, aber auch das tausendfache Leid der Palästinenser thematisiert und das eine nicht vom anderen trennt, gerät schnell ins Abseits. Die Diskussion scheint überladen von unversöhnlichen Standpunkten. Eine, die dem etwas entgegensetzen möchte, ist Margot Friedländer. Sie ehrt das Cover der neuen Ausgabe von Vogue. Die 102jährige Holocaust-Überlebende lasse sich auf keine Seite ziehen, textet Vogue-Germany dazu. Ihre einzige Maxime sei die Liebe.
Der Respekt vor Leben und die Verantwortung des Menschseins seien die Kernbotschaft der betagten und zugleich hellwachen Frau, die auf Grund ihres Leids unter dem Nazi-Regime allen Grund für Hass hätte. Der aber, so darf man aus all ihren Äußerungen, erst Recht nach dem 7. Oktober, schließen, keinen Platz in ihrer Seele hat. Das hat Margot Friedländer wieder und wieder auf vielen Veranstaltungen deutlich gemacht. Sie ist nicht für dogmatische, immer verengtere und unversöhnliche Positionen in der Debatte zu haben.
Es gibt unzählige Bilder von Margot Friedländer. Eines zeigt sie ein Motorboot steuernd auf dem Berliner Wannsee. Das Bild ist in seiner Stimmung dem ähnlich, das jetzt auf dem Vogue-Titel zu sehen ist. Auf beiden Bildern trägt sie rot. Strahlt Lebensfreude aus. Und den Willen, sich nicht von Feindschaften blenden zu lassen. Sie hat das Schlimmste überlebt. Und will nicht, dass dieses Schlimmste nochmal passiert. Deswegen warnt sie vor rechten Strömungen. Und mahnt, sich nicht in den Sog wachsender Gewalt ziehen zu lassen.
Was Margot Friedländer ausstrahlt, ist etwas, das vielen in der aktuellen Diskussion abhanden gekommen ist. Der Wille, sich einem Kurs des Verstehens und der Verständigung zu verschreiben. Die Fronten laden sich weiter auf, mit Konsequenzen, die nur wenige Monate nach dem 7. Oktober und angesichts des brachialen Vorgehens der Israelis in Gaza und im Westjordanland weit auch in die deutsche Gesellschaft hineinragen. Margot Friedländer hält nichts von den Gräben, die sich zwischen beiden Seiten zusehends vertiefen.
Was an Margot Friedländer so bewundernswert ist: Dass sie ihre Hoffnung, Konflikte mit Wohlwollen zu entschärfen, nicht begräbt. Dass sie entschieden, aber Versöhnung anstrebend das aufrüttelnde Szenario betrachtet. Ihr Ziel: Brücken nicht von starren Bekenntnisse abhängig zu machen. Sondern im Meinungs-Austausch zu einem erträglichen Miteinander zu finden. Liebe und Frieden ist ihre Losung. Die Lust an Verboten, Diffamierungen und Hass ist ihr fremd. Sie möchte, dass sich Juden und Palästinenser die Hände reichen.
Das Bild auf der jüngsten Ausgabe der Vogue zeigt eine Frau, die dem Verhärmten in der Debatte um Antisemitismus, Palästinenser-Proteste und die Gewalt im Nahen Osten nichts abgewinnen kann. Aber die Gefahren, die in aller Entwicklung hervortreten oder absehbar sind, auch nicht verharmlosen will. Genau deshalb möchte Margot Friedländer der Suche nach Trennendem das Verbindende entgegenstellen. Sie sucht eine Perspektive im Positiven. Das strahlt sie auf dem Vogue-Cover aus. Das ist ihre wichtige Botschaft.
Diese Botschaft sollte alle, die sich in der Debatte bis zur Unbeweglichkeit verbarrikadieren, erreichen. Ein paar Palästinenserfahnen und sei es in den Räumen einer deutschen Universität, sollten nicht den Blick darauf versperren, wer Deutschland und Europa wirklich bedroht. Wenn die AfD und die erschreclkenden Rechtsausleger in Italien, Frankreich und anderswo weiter an Einfluss und Rückhalt gewinnen. Es scheint gut, hier eine Grenze zu ziehen – und nicht zwischen Jüdinnen, Juden, Israel und Palästinensern.
Margot Friedländer hat sich mit dem Vogue-Titel nicht nur Freunde gemacht. Ihre wunderbare Art, Haltung zu zeigen, verdient allen Dank, allen Respekt. Aber schon kriechen einzelne Nörgler aus den Social-media-Löchern, die es einer Holocaust-Überlebenden für unwürdig halten, gemeinsame Sache mit einer Modezeitschrift zu machen. Gerade diese gemeinsame Sache freilich hilft im Ringen um mehr Menschlichkeit. Sie zeigt, wie man Hürden freundlich und dennoch mit Verve und Selbstbewusstsein überwinden könnte
Diese 102jährige Frau, die ihre Mahnung, es gebe kein jüdisches, kein palästinensisches, sondern nur menschliches Blut, zum Kern ihrer Seele, auch ihrer politischen Seele macht, hat die Kraft, die anderen fehlt. Es ihr streitig machen zu wollen, dass sie, die ja selbst einmal den Wunsch hatte, in der Modewelt irgendwie eine Rolle zu spielen, nicht davor scheut, ihre Botschaften auch via Vogue rüberzubringen, ist respektlos. Und geradezu Appell, es der klugen, großartigen Margot Friedländer und Vogue nachzumachen.

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