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WasTun gegen Irrsinn?

Spiegel online macht morgens mit einem Bericht über Fressattacken einer Influencerin auf, Rüstungs-Start-ups sind mit KI-Perspektiven, kaum gegründet, Milliarden wert, der in Deutschland für vorbildlichen Liberalismus geehrte argentinische Staatschef Javier Milei sichert sich persönliche Allmacht, Sonnenschutzmittel werden immer gefährlicher, die Deutsche Bahn immer irrer, Olaf Scholz hält Sozialpolitik für eine politische Petitesse, was die AfD puscht, Ronaldo kann Portugal nicht vor einer Niederlage gegen Georgien retten, die Bundesregierung will die Abschiebepolitik verschärfen, während im Auswärtigen Amt Mitarbeiter illegale Einreisen organisiert worden sein sollen….

…die Kette medialen Grauens ließe sich unendlich fortsetzen. Absurditäten und politischer Harakiri geben sich Tag für Tag die Klinken in die Hände. Die Großwetterlage wird zunehmend verstörender und bedrohlicher. Wer früh morgens in die News-Portale schaut, ist gegen 10 a.m. schon für Depressionen empfänglich oder, wahlweise, für das erste Glas Weißwein. Manchmal für Beides. Jedenfalls erreicht die Masse an Zumutungen fürs Leben und allem, was damit zusammenhängt, toxisches Potenzial. Mir jedenfalls geht es so. Und ich schwanke zwischen steigendem Blutdruck und pathologischer Resignation. Man muss schon seelisch weit aufsteigen, um Lichtblicke zu erhaschen.

Ich hätte nicht gedacht, dass Facebook irgendwann mal hilfreich wäre. Ist aber so. Neuerdings nämlich bekomme ich dort einen Haufen Sentimentalität angeboten. In Form kleiner Videos mit den Musikerinnen und Musikern meiner Jugend- und Studentenzeit. Ich bin normalerweise gefeit vor romantisierenden Rückgriffen und einem Früher war alles besser. Was Musik betrifft, bestehe ich allerdings drauf. Während deutsche Radiowellen seit Jahren Musik als unkonsumierbaren comptergesteuerten Brei servieren, war Musik früher ein Tummelplatz der Diversität. Fast Niemand wollte sein wie die Anderen. Es zählte Individualität. Plagiatejäger wären vermutlich nur schwer fündig geworden.

Wenn mich also der Blues erwischt, und das ist mittlerweile nicht selten, schwelge ich in diesen musikalisch alten Zeiten. Das entspannt die Synapsen. Und lässt mir für Momente nahezu wurscht sein, ob die US-Wahlen auf den bekloppten Trump hinauslaufen, der israelische Minister für Verteidigung den Libanon in Schutt und Asche legen will oder Putin immer erschreckendere Drohgebärden gen Westen morst. Nur gegen rechts und Antisemitismus, allerdings nach der Jerusalemer Erklärung, habe ich noch keine Klangschalen gefunden. Ein bisschen geübter Widerstand und Unmut sollte bleiben. Nicht überall ist Resilienz brauchbar. Auch da ticken Verstand und Seele im Takt alter, hier: Protesthaltung.

Es gilt der Versuch, in all dem Schlamassel, in den ich nie zu kommen hoffte, eine Balance zu finden. Ich habe Freund:innen, die haben beschlossen es sich nur noch schön zu machen. Und die Weltlage weitgehend zu ignorieren. Nicht mein Ding. das lässt meine Sozialisation nicht zu. Andererseits ist eine solche Haltung vielleicht beneidenswert. Vielleicht hilft sie auch, das Leben zu verlängern. Mir, so denke ich, sollte helfen, ab und zu in etwas abzutauchen, was mich beruhigt. Bevor der nächste üble Sturm aus irgendwelchen Ecken der Welt, und sei es aus dem Bundeskanzleramt, den Kragen hochschlagen lässt. Oder ich dem meinen eigenen Sturm mehr oder weniger lauter Entrüstung entgegensetze.

Kürzlich sah ich ein Video mit dem letzten öffentlichen Auftritt von Johnny Cash. Ein alter Mann im Rollstuhl sang, um kein bisschen Text verlegen, mit gebrochener, aber berührender Stimme Walk the line. Ein paar Bewegtbilder später tauchte John Lennon in einem hässlichen roten Anzug auf, die langen Haare zurückgesteckt, und ließ mich in Imagine verlieren. Es folgten Pink Floyd, Janis Joplin und Procul Harum. Ich blieb, nach einem Kaffee, im Bett liegen und konnte mich gar nicht mehr satt hören. Wie groß sind doch diese Musikerinnen und Musiker (gewesen), und wie klein sind im Vergleich die unglaublichen Schwätzer auf den Bühnen der Politik. Leider haben sie großen Einfluss, das macht die Sache so tragisch.

Also schwanke ich weiter zwischen den Hässlichkeiten dieser Welt, persönlicher Aufmüpfigkeit und den Sternstunden, die mir manche Gedanken bescheren. Versuche, Depressionen zu entkommen, der Resignation, und gegen Alles eine Art Resthoffnung zu setzen. Leicht fällt mir das, zugegeben, allerdings nicht. Nicht mehr. Zu selten und zu leise sind die Korrektive internationalen Daseins geworden. Debatten bringen keine Fantasie, keine Inspirationen mehr. Ein opportunistischer Mainstream schickt sich an, weltweite Herrschaft zu übernehmen. Er legt sich wie Mehltau über unseren Globus. Wer muckt, wird in die assozialen Medien gezerrt. Wo mediokre Spötter und Hetzer ihr Unwesen treiben.

Falls ich irgendwann den Moment verpassen sollte, so sei hier schonmal vorab gedankt dafür, dass es mir hin und wieder doch möglich ist, dem Anstrengenden und Verzweiflung Nährenden im Leben ein Schnippchen zu schlagen. Dank an all die wunderbaren Musikerinnen und Musiker, denen heute von all denen müdes Lächeln zuteil wird, die noch nicht mal Triangel spielen können. Die Spielräume des Ermessens solch klingender Juwelen werden umso enger, je mehr Call-Center-Personal in Redaktionen für das verantwortlich zeichnet, was kaum minder schlimm ist, als das Getöse aus nordkoreanischen Lautsprechern. Terror ist überall. So All I am saying is give peace a chance!

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