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Eine scheinheilige Empörung

Wer diesen Beitrag in der FAZ liest, muss doppelt irritiert sein angesichts der Empörung, die in der türkischen Nomenklatura mit Blick auf den EM-Spieler Merih Demiral aufflammt. Demiral hatte das zweite Tor im Achtelfinale gegen Österreich mit dem so genannten Wolfsgruß gefeiert. Dem Zeichen der Rechtsextremisten in der Türkei; speziell der MHP und ihrer Jugendorganisation, den „Grauen Wölfen“. Über die MHP schreibt Bülent Mumay in der FAZ einen aufschlussreichen Hintergrund.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kolumnen/brief-aus-istanbul/buelent-mumay-aus-istanbul-ueber-erdogan-bahceli-und-einen-mordfall-19832273.html

Die allgemeine Scheinheiligkeit und die scheinheiligen Rassismus-Vorwürfe vom Bosporus im Besonderen sind kaum mehr zu überbieten. Merih Demiral, der seine offen rechtsextremistische Haltung hinter türkischem Identitäts-Geschwafel zu verstecken sucht, erweist sich mit seinem Geschwätz als der sportlich verlängerte Arm seines Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der hat null Probleme, sich genau mit jener ultranationalistischzen MHP zu verbandeln, die den Wolfsgruß zelebriert und damit ihre unmissverständliche demokratiefeindliche Ideologie.

Aus dem politischen Skandal, der hier auf dem Rasen in Szene gesetzt wurde, ist ein offener diplomatischer Konflikt geworden. Und das ist gut so. Denn ausnahmsweise zählt hier nicht, wer woher kommt und vermeintlich rassistisch angefeindet wird, sondern wer was denkt und sich damit – egal welchen staatsstämmigen Hintergrund er hat – in seiner Gesinnung outet. Es ist ein Schlag ins Gesicht auch vieler Türkinnen und Türken in Deutschland, wenn hier einer, der das Trikot ihres Heimatlandes trägt, derart hoheitlich türkische Identität definiert.

Man weiß, wieviele Menschen in der Türkei hinter Gittern sitzen, weil sie weder der MHP noch den Grauen Wölfen oder den Rechtsextremisten der Ülkücü-Bewegung und auch nicht dem offen autokratisch regierenden Staatschef Erdogan und seiner aus rechtsstaatlicher und demokratischer Sicht fragwürdigen AKP folgen. Sondern weil sie sich eine Türkei wünschen, die international Ansehen genießt. Und keine Regierung, die bis zu Verästelungen nach Deutschland Druck gegen ihre Kritiker ausübt, wie man ihn von Diktaturen kennt.

Es ist schon übel, dass die Türkei mit ihrer jetzigen Regierung, die ja kein Betriebsunfall ist, sondern sich qua eines perfiden Unterdrückungsapparats an der Macht hält, NATO-Mitglied sein kann. Oder als Verhandlungspartner einer auf Abschottung gerichteten europäischen Flüchtlingspolitik taugen soll. Zu der Erdogan nun auch mit Kontakten zum syrischen Diktator Assad beitragen möchte. Da kann man schon froh sein, dass wenigstens die UEFA, der man sonst nicht viel Standkraft zutraut, Positionen gegen rechts die Stange hält.

Es hat, wer immer hier Argumente sucht, nichts mit Rassismus zu tun, wenn sich Demokraten rechtsextremistische Kundgebungen auf ihrem Territorium verbieten. Es spielt keine Rolle, wer woher kommt, wenn es darum geht, Demokratiefeindlichkeit in die Schranken zu weisen. Das Eintreten für menschenfreundliche Werte ist bestenfalls universell. Dazu gehört freilich auch, deutsche oder österreichische Nazi-Gesänge auf Tribünen zu unterbinden. Damit eben nicht doch der Verdacht genährt wird, man sei rassistisch!

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