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Geschwätz ohne Perspektiven

Zurückhaltung versus affektiver Generierung von Aufmerksamkeit. Das sind die Pole, zwischen denen sich derzeit die großen Politikströme in Deutschland bewegen. Zurückhaltung, dafür steht die von vielen als konturlos betrachtete Haltung von Bundeskanzler Scholz. Die ja so zurückhaltend gar nicht ist. Weil der SPD-Mann ja durchaus, in Absprache mit anderen politischen Playern, seinen, nennen wir es mal: Pragmatismus korrigiert, verändert, weiterentwickelt. Für affektorientierte Generierung von Aufmerksamkeit, dafür stehen Leute wie Merkels Ex-Berater Christoph Heusgen und die BSW-Frontfrau Sahra Wagenknecht. Die jeweils auf spezielle Weise auf Wege setzen, die allerdings bislang jegliche weitreichende Perspektive außen vor lassen.

Am Besten, das war schon immer so, lassen sich Politikmodelle verkaufen, wenn man sie anpreist, wie Staubsauger an der Haustür. Sieht gut aus, klingt gut, ist schick in der Beschreibung – doch was ist mit Langlebigkeit, Nachhaltigkeit, Wartung etc? Was mit dem Preis im Vergleich zur Sicherheit, mit der sich all die schönen Versprechungen einhalten lassen? Hilft Überzeugungskraft oder wird am Ende an der Haustür der Fuß reingestellt und gedroht? So professionell Denkanstöße, Mahnungen und Warnungen klingen mögen: Klopft man sie auch nur halbwegs intensiv auf ihre Integrität ab, brechen die Bilder des Gutmeinens auch schon in sich zusammen. Wer richtig hinschaut, merkt, wie wenig belastbar das meiste ist, wie brüchig und wenig haltbar.

Auch wenn dies weit zurückgegriffen ist: Die Kubakrise scheint ein adäquater Fall zu sein, um den Unterschied zwischen affektivem Handeln und Zurückhaltung zu beschreiben. (Auch) damals stand die Welt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vor einem neuerlichen internationalen militärischen Kräftemessen. Wäre es nach den führenden US-amerikanischen Militärs gegangen, aus einem Akt vermeintlicher Stärke gepaart mit Unbesonnenheit wäre vermutlich eine Katastrophe geworden. Der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, war es, der das Schlimmste verhinderte. Stets die Konsequenzen der Alternativen vor Augen. Er griff zum Instrument der Bestimmtheit, bei der das Chruschtschow-Regime Russlands das Gesicht wahren konnte.

Derartige Besonnenheit aus der Kraft der intellektuellen wie der politisch-pragmatischen Stärke heraus fehlt sowohl auf der Seite derer, die dem Kreml mit purer Waffengewalt beikommen wollen, als auch auf der Seite derer, die mit einem Käfig voller Friedenstauben nach Moskau reisen und dem russischen Falken Verhandlungen abtrotzen wollen, die zunächst überhaupt einen Friedenswillen bei Putin vorausetzen. Der aber bislang nicht erkennbar ist. Ebenso wenig wie allerdings auch im Gefechtsstand seines ukrainischen Amtspendants Wolodymyr Selenskyi. Mithin ist die Lage ausgesprochen verfahren, die Rezepte, aus ihr herauszufinden, sind es leider aber auch. Was geboten wird, ist nichts als Murks. Fußend auf wenig belastbaren Erkenntnissen.

In diese Situation hinein wird zudem eine Expansionspolitik betrieben, die ihrerseits nicht helfen wird, Luft aus der Eskalation zu nehmen oder gar sinnstiftend zu sein. Unsinn 1: Was sollen die Pläne für eine Erweiterung der EU? Auch um die Ukraine. Europafreundliche Menschen dachten einmal, es ginge der EU um eine Weiterung ihrer europäischen Idee. Um Weite also und um Offenheit. Statt dessen zogen die Außengrenzen mittels neuer Mitglieder immer größere Kreise. Um sich freilich an den Außengrenzen abzuschotten. Und zwar nicht zum Schutz eines liberalen Idealismus. Sondern zum Gedeihen des Gegenteils; siehe Ungarn. Was eher imperialistische Züge trägt.

Nicht anders verhält es sich mit dem, Unsinn 2: westlichen Militärbündnis namens NATO. Es geht auch dort nicht darum, den Menschen außerhalb eines Allianzraums transatlantische Freundlichkeit entgegenzubringen, sondern darum, dem anderen zu zeigen, für wie unfreundlich man ihn hält. Die Dialektik will es, dass die Rechnung am Ende aufgeht. Unabhängig von Henne und Ei. Auch hier, wie im Fall der EU, wird der Zusammenhalt von Ländern beschworen, die unterschiedlicher nicht sein können. Da ist mehr, was trennt, als dass man sich auf eine liberale, menschenfreundliche Offenheit verständigt hätte, die man nach außen tragen möchte. Und um deretwillen man auch ein bisschen militärischen Schutz installiert. Es werden Machtbereiche sortiert.

In diesem Sinne sind denn all die schönen Berufungen auf allerlei Experten, die sich in den Medien die Klinke reichen, soviel wert, wie abseits der Worte die Weitsicht. Es gibt keine wirklich bis zu Ende gedachten Gedanken. Weder bei denen, die militärische Stärke predigen, noch bei denen, die sich für reine Verhandlungspositionen stark machen. Es gibt keine zu einem gute Ende gedachten Perspektiven für die Ukraine, und keine solchen für Europa. Es fehlen Ideen für einen ausbalancierten Zusammenhalt der Welt. Aber um den wird es gehen müssen, wenn Kriege und Krisen nicht zu globalen Ex- und Implosionen führen sollen. Vom Kalten Krieg ist bisweilen die Rede, in den man zurückfallen könnte. Ist es das, was wir wollen?

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