Eines ist nicht abzustreiten: Wolodymyr Selenskyi, Präsident der Ukraine, hat seinen Plan für den von Russland angefachten Krieg gegen das Nachbarland, Siegesplan genannt; und nicht etwa Friedensplan oder mit einem ähnlich verschwurbelten Begriff betitelt. Das ist fair, aufrichtig und deshalb irgendwie, ich will es nicht leugnen, ehrenhaft. Dass dieser Plan in den Medien allerdings unter der Rubrik politische News firmiert, ist bestensfalls lustig. Denn neu ist an diesem Plan nichts. Jedenfalls nichts von dem, was bekannt wird. Einige Punkte sollen geheim bleiben. Vielleicht wären da ja noch echte News zu fischen, aber wir wissen es nicht. Die Spannung bleibt also erhalten.
Im Kern serviert der Siegesplan alten Wein in neuen Schläuchen. Keine Gebietsabtretungen an Russland. Einladung in die NATO, und zwar subito. Ausweitung der Ausweitung der Kämpfe auf russisches Gebiet, mit Ohne-Wenn-und-Aber-Unterstützung der westlichen Partner. Na ja, und noch anderen Kram, den man kennt. Und dem der Westen bislang eher zurückhaltend gegenübersteht. Kurz: Realistischer ist die Agenda von Selenskyi nicht geworden. Und sollte Donald Trump die US-Präsidentenwahl gewinnen, kann sich die Ukraine Siegespläne ohnehin an den Hut stecken. Denn Trump ist quasi das amerikanische Alter Ego von Kreml-Diktator Putin und mit ihm dicke.
Der Siegesplan ist also, wenn klandestine Teile nicht noch wirkliche Neuigkeiten beherbergen (und die dann auch eines Tages öffentlich werden), ein Plan weiterer Verluste. An Menschen, an Territorium, an Glaubwürdigkeit. Dass Wladimir Putin sogleich verkünden ließ, das von ihm völkerrechtswidrig überfallene Land möge aufwachen, gehört ebenfalls nicht in die Abteilung News. Es darf also befürchtet werden, dass der Russland-Ukraine-Krieg weiter unvermindert tobt, dass er bislang von keiner Seite zu gewinnen ist. Und dass der Westen einen Teufel tun wird, die prekäre Lage international zu befeuern, in welche Richtung auch immer. Ohne eigene belastbare Pläne.
Weil Wolodymyr Selenskyi nicht nur fair ist, sondern vermutlich auch weiß, dass die Pfeile in seinem Köcher bislang zwar das Herz des Westens gewinnen, aber militante Seelen dann doch nicht wirklich auf ukrainische Betriebstemperatur aufheizen konnten, hielt sein neuer, alter Siegesplan, den er im Parlament in Kiew vortrug, noch, ich nenne es mal: Schmankerln bereit. Den Zugriff auf Rohstoffe nämlich, ein verlockendes Angebot, wie der stets um bellizistische Flankierung bemühte Focus textete. Und die, so wird Selenskyi zitiert, doch besser in der demokratischen Welt verblieben, als dass sich Kriegsherr Putin damit eines unschönen Tages den Hintern wärmen würde.
Einen Versuch mag der im Großen und Ganzen etwas abgestandene Siegesplan wert gewesen sein. Der Winter kommt, der Druck an den Fronten des Krieges wächst mit der Kälte. Die Wahlen in den USA stehen vor der Tür, und die Chancen, dass der Siegesplan von Kamala Harris greift, schwanken. Also gilt es, bevor schrecklicherweise doch Donald Trump das Rennen machen sollte, nochmal alle ukrainischen Ambitionen in die Waagschale zu werfen. Verständlich. Ein Friedensplan mit einem, sorry, Schuss Wirklichkeitsnähe, wäre womöglich sinnvoller gewesen. Ein solcher Plan kommt ohnehin. Besser, ihn gegebenenfalls nicht vom Autokraten Trump diktieren zu lassen.

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