Ich hätte drauf gewettet. Dass euro-scene einknickt. Die Veranstalter des Festivals, das in Leipzig Anfang November Tanz und Theater auf Bühnen der Stadt bringt. Sie hatten unter anderen das Freedom Theatre aus dem palästinensischen Jenin im Westjordanland eingeladen. Und waren damit prompt auf eine mittlerweile geübte Welle des Protests gestoßen. Vorneweg die Artists Against Antisemitism. Die auf der Linie alle derer liegen, denen Kritik an der Politik des Staats Israel nicht nur antisemitismusverdächtig erscheint, sondern Antisemtismus ist. Aus und fertig. Staatsräson.
Anfangs noch hatten die Veranstalter die Einladung der Künstler aus dem vom israelischen Staat und israelischen Siedlern gegängelten Westjordanland verteidigt. Und reklamiert, dass der Auftritt eine wichtige Position im Hinblick auf die Existenz bzw. die Abwesenheit von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten darstelle. Und dass Boykotte und Ausladungen von Künstler:innen…unserer Ansicht nach nicht die Diskussion von gesellschaftlichen Debatten förderten, sondern verhinderten. Kurz vor Festival-Beginn sind die Worte Makulatur! Das Haltbarkeitsdatum, plötzlich abgelaufen.
Vermutlich haben sich die Mitstreiter von Artists Against Antisemitism nicht wirklich mit der Geschichte des Freedom Theatre beschäftigt. Sie verkürzen. Und lassen weg. Das Stück And Here I Am, das in Leipzig aufgeführt werden sollte, zeichnet den Weg seines Protagonisten vom Kämpfer des Islamischen Jihad zum Schauspieler und Verfechter kulturellen Widerstands nach. Der Protagonist ist heute Leiter des Theaters, das einst von einer israelisch-palästinensischen Friedensaktivistin geleitet und deren Nachfolger und Sohn von radikalen Palästinensern ermordet wurde.
Doch das spielt für die Artists Against Antisemitism keine Rolle. Für sie bleibt von der Transformation vom gewaltsamen zum kulturellen Widerstand – cultural intifada – nur Terror übrig. Widerstand der Palästinenser an sich ist den Begriffs-Artisten ein Dorn im Auge. Vom Recht, sich gegen die Politik Israels zur Wehr zu setzen, soll nurmehr Unrecht übrig bleiben. In der Stellungnahme der Kritiker wird denn alles zusammengeschustert, was das auch palästinensische Recht auf Menschlichkeit diskreditieren hilft. Da ist keine Begriffs- und Geschichtsklitterung zu billig.
Das Ganze gipfelt in einem letzten fettgedruckten Appell: Kein Terror im Theater. So wird, am Ende flankiert und unterstützt von Leipzigs politisch Verantwortlichen, dafür gesorgt, dass erst gar nicht der Verdacht aufkommt, man könne selbst so etwas wie kulturpolitischen Terror ausüben. Der aber hat es wieder einmal geschafft, dass einer mittlerweile immer fragwürdigeren Staatsräson, die Israelkritik immer ungehobelter mit Antisemitismus in einen Topf schmeißt, gehuldigt und ein freier, diskursiv gedachter Kulturbetrieb unmöglich gemacht wird.
euro-scene hat das Freedom Theatre aus Jenin ausgeladen.
Diese Ankündigung war – bis zur Absage – auf der Seite des Schauspiel Leipzig zu lesen.

Hinterlasse einen Kommentar