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50 Jahre Rentiertstyle

Es muss irgendwann passiert sein, als ich 18 war. Mir ist das damals gar nicht aufgefallen. Oder doch? Und ich kann mich nur nicht mehr dran erinnern? Jedenfalls begann vor 50 Jahren der IKEA-Eroberungsfeldzug in Deutschland. Man sehe mir bitte meinen bellizistischen Sprachgebrauch nach. Aber Krieg ist gerade in. Und wo nicht Waffen sprechen, gibt es auch nix zu holen. Für IKEA gibt es es seit fünf Jahrzehnten ne Menge zu holen. Es gibt so etwas wie ein generationenübergreifendes Treuegelübde. Einmal Rentierware, immer Rentierware. Das hat seinen Grund.

Einen der Gründe durfte ich dieser Tage vor Augen geführt bekommen. Auf der Suche nach einem Küchenwagen (Servierwagen mit Arbeitsplatte), mussten wir feststellen. Im Zeitalter modernen Kitchen-Landschaften, die mittlerweile fast selbstkochend sind und in der alles in irgendwelchen Küchenblöcken seine Ideale findet, scheinen simple Küchenwagen so gut wie ausgestorben. Wer die öffentliche Fahnung einleitet, wird auf allerlei, teils zweifelhafte, Internet-Portale gelenkt, die wie ein Paradies scheinen. Doch wie im analogen Leben auch, ist nicht überall Paradies drin, wo Paradies draufsteht.

Die Verzweiflung freilich ist ein(e) wahre(r) Verführer:in. Es bleibt einem, so scheint es, gar nichts anderes übrig, als nach tagelangen Recherchen, auf vielversprechende Etiketten zu setzen. So ging es mir auch beim Cook Küchenwagen von Jan Kurtz, den dieser auf allen möglichen Plattformen feilbietet. Schick sah er aus auf der http://www.Seite, auf die ich stieß. Ein wahres Prechtexemplar. Das nicht nur Cook war, sondern auch Look. Für den nicht ganz unstolzen Preis von gut mehr als 400 €. Aber das Paradies, so war mir klar, ist nicht umsonst zu haben. Also wurde das Ding bestellt.

Es kam, denn Schönheit will liebevoll enthüllt werden, im Pappkleid daher. Soweit, so gut. Und natürlich musste, ja durfte, das geradezu lasziv abgebildete Küchenutensil – weil nur, was Mühe macht, auch belohnt wird – Teil für Teil, Schräubchen für Schräubchen zusammengebastelt werden. Als krönender Abschluss wartete eine prachtvolle Schublade darauf, als letztes Detail in eine eigens, hier sogar, vorinstallierte, Schiene eingepasst zu werden. Das genau erwies sich allerdings als ein offenbar gut ausgeklügelten Eitikettenschwindel. Mit maximalem Frustpotenzial.

Der Cook Küchenwagen von Jan Kurtz zeigte sich als im Preis teure, in der Verarbeitung und im finalen Topping billige Konstruktion. Die nicht nur klemmte, weil vielleicht beim Transport etwas Blödes passiert war. Sondern die klemmte, weil Idee und schraubenlastige Ausführung schon rein planerisch nicht bis ins Letzte durchdacht waren. Sprich: Der Küchenwagen machte nicht gerade einen belastbaren Eindruck, die Schublade unbrauchbar. Das Paradies entpuppte sich in Urknalltempo als Fake, ein Reinfall, ein ganz und gar fieses Ärgernis. Ein untauglicher Traum.

Jetzt steht das Ding im Keller und wartet darauf, dass wir es – nach Ankunft neuer Pappen und Zurück-Zerlegung in seine Einzelteile – es retour schicken. Damit das Küchenwagen-Trauma rasch überwunden ist, bedurfte es eines schnelles Ersatztraums. Und hier sind wir wieder bei 50 Jahre IKEA in Deutschland. Genau 22 Minuten dauert die Fahrt von unserer Wohnung zum nächstgelegenen IKEA-Stützpunkt. Eine Drittelstunde. Dann war Regal 28 erreicht. Und mithin, stabil verpackt, unser Stentorp. Mindestens so stabil wie der Jan-Kurtz-Block. Und vor allem: Alles passgenau, inklusive Schublade.

Was hier zu lesen ist, mag ausschauen, wie eine verabredete IKEA-Werbeaktion. Dafür aber ist meine Blog-Gemeinde zahlenmäßig zu dürftig. Was ich nur sagen möchte, und das voller Inbrunst und Überzeugung. Auf IKEA ist, so jedenfalls meine Erfahrung Verlass. Was immer man dort auch abseits der Schöner-Wohnen-Welt ersteht: Irgendwie sind die Dinge verlässlich. Nicht High-End, aber solides Rentier-Handwerk. Bis 280.000 geweihte Tiere sollen laut Wikipedia in Schweden leben. Dort, wo einst Ingvar Kamprad das Wunderwerk aus der Taufe hob. Und mir einen Küchenwagen bescherte.

Designmäßig mag Stentorp etliche Erdumrundungen vom Paradies entfernt sein. Aber irgendwie empfinde ich angesichts des Online-Dramas, das ich erlebt habe, so etwas wie ein liebevolles Verhältnis dazu. Das geht soweit, dass ich mich für einen Imbiss gar nicht mehr an den Tisch setze, sondern mir Kleinigkeiten am Liebsten im Stehen an dem Küchenwagen einverleibe. Der Radius zwischen Arbeitsplatte, Kühlschrank und allerlei Geräten beträgt eine Körperumdrehung. Und der Preis dafür lag bei 149 €. 300 € weniger als der Schrott, der es nurmehr in den Keller schaffte.

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