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Polarisierung und Unversöhnlichkeit

Trump, Putin, Selenskyi, Erdogan, Netanyahu – im Ausland. AfD, Merz, selbstgerechte Hamas-Freunde und Antisemitismusbekämpfer – im Inland. Wohin wir dieser Tage schauen, bietet sich ein Bild immer weiter ausufernder Polarisierungen und Unversöhnlichkeiten. Es scheint, diejenigen, die offenbar großen Spaß daran haben, Feindschaften und Konflikte sowie daraus resultierenden Terror, Kriege und Übergriffigkeiten zu schüren, gewinnen umfassend die Oberhand. Und es ist erschreckend, mit welch rasantem Tempo sich das vollzieht.

Die Politik rast in Lichtgeschwindigkeit in selbstgebaute Sackgassen. Hämmert sich die Stirn blutig am Unvermögen, mit intellektueller Distanz auf die Dramen zu blicken. Und auf sich selbst. Es wird – im Tucholsky’schen Sinne – ausschließlich auf andere geschaut. Und danach gesucht, wo sich denn Gründe für Abgründe abseits des eigenen Spiegelbilds ausmachen lassen. Treibstoff liefert immer das Gegenüber. Man badet in der Absolution seiner selbst, die man sich aus Geschichte und Geschichten schneidert. Passgenau. Unverrückbar.

Und unbelehrbar. Wer in diesen zerstörerischen und selbstzerstörerischen Prozess eingreifen möchte, wird mit banal zusammengebastelten Argumenten stigmatisiert, ausgegrenzt. Steht mit dem Rücken zur Wand. Das Einfache, ja Einfachste dient als Instrument, umso perfide wie nur irgend möglich den Eindruck zu erwecken, nur man selbst sehe klar. Habe Recht. Sei befugt, den Stab über Irrtumverbreiter zu brechen. Über andere Sichtweisen. Einsichten. Schlussfolgerungen. Vorschläge. Wie man aus den Dilemmata herauskommen könnte.

Es ist ein gefährliches Verbohrtsein, das sich zunehmend breit macht. Trump erklärt seine Kontrahentin Harris für plemplem. Putin sieht in der Ukraine ein Land voller Nazis. Selenskyi wirft dem Westen vor, sein Volk ans Messer des Kreml zu liefern. Erdogan wittert eine Gelegenheit, die Kurden platt zu machen und spricht Israel das Existenzrecht ab. Netanyahu die Chance, die Palästinenser ein für alle Mal mit Gewalt zu marginalisieren. Ihm dient der Hamas-Terror als Freifahrtschein, andere verweisen ihrerseits auf andere Begünstigungen.

In Deutschland übernimmt derzeit vor allem die AfD den Part des Irrsinns. Gipfelnd im Ansinnen einer Neubewertung der Bauhaus-Philosophie. Es reicht nicht, Ausländern das Leben schwer zu machen, das Land auf Anti-Migranten-Kurs zu trimmen, den Staats als solches in Frage zu stellen. Braunes Gedankengut soll sich wie Mehltau über die gesamte Gesellschaft legen. Wo Gegenwehr angesagt wäre, lässt sich das BSW von Sahra Wagenknecht zu Putin-Lobhudeleien hinreißen und macht Anbiederung an Moskau zur Regierungsbedingung.

Das ist gaga, mindestens. Aber selbst Koalitionen mit Gaga-Potenzial wären ja nicht wirklich neu. Für CDU-Chef Merz offenbar schon. Der, in ideologischer Klemme, nicht weiß, was er wollen soll. Schon gar nicht, was er tut. Und sei es, der AfD einen Gefallen. Keinen Gefallen wollen Jüdinnen und Juden selbst anderen Jüdinnen und Juden tun, die nicht der Meinung sind, dass Israelkritik an sich schon antisemitisch ist. Schwamm über Alles und Alle, die sich Differenzierung wünschen. In den Sack wird gesteckt, was reinpasst, gegebenenfalls die eigene Klientel.

Manche wissen noch, was sie erst gestern gesagt haben. Manchen dünkt es zu lasch. Sie setzen täglich eins drauf. Und je lauter die Appelle sind, die Contenance zu bewahren, desto lieber. In einigen Fällen lässt das auf Verzweiflung gegenüber der eigenen Erklärungsnot schließen. In anderen Fällen ist die Not der anderen das, woran sich das eigene Handeln labt. Da kann es in der Terminologie nicht rabiat genug zugehen. In verbaler oder waffenstotzender Lüsternheit nicht dekadent genug. Nicht mal dann, wenn reichlich Blut fließt.

Dem Hass auf vielen Seiten folgt auf dem Fuße Zerstörungswut. Psychisch oder Physisch. Die kriegerische Auseinandersetzung mit zerbombten Dörfern und Städten, getöteten Soldaten und Zehntausenden ermorderter Zivilisten sind die eine Variante. Sie zieht, ob im Russland-Ukraine-Konflikt oder im Nahen Osten, immer größere Kreise. Rücktritte und Austritte, Ausladungen und Einreiseverbote sind eine andere Variante. Sie folgt einer oberflächlichen Staatsräson, die Tiefe vortäuscht. Der knallharte Meinungsdiskurs wird umschifft.

Hinter diesen Spielarten der Gewalt (physisch), wo und von wem auch immer, und Unversöhnlichkeit (psychisch), wo und von wem auch immer, steckt die Annahme, Unversöhnlichkeit würde vor der Herausforderung einer Friedensstiftung oder konstruktivem Streit bewahren. Zu anstrengend für Kopf und Körper, Interessen über die eigenen Grenzen hinaus zu verknüpfen und unterhalb der Schwelle großspuriger Akteure einen Weg zu einem versöhnlichen Neben- oder Miteinander zu ebnen. Warum Brücken bauen, wenn man sie einreißen kann.

Die Gegenwart gehört denen, die polarisieren. Denen, die Unversöhnlichkeit predigen. An den Polen herrscht Kälte. In der Unversöhnlichkeit liegt begraben, was ab einem bestimmten Punkt nur noch schwer zu heben ist. Menschlichkeit. Zumindest der Versuch, ihr eine Chance zu geben. Gegen alle Versuche, sie zu diffamieren. Sie in die Ecke des jeweiligen Feindes zu stellen und dort lächerlich zu machen. Sie dem Spott der Hardliner preiszugeben. Was dahinter aufflackert, lässt sich gut erkennen. Die gnadenlose Schwäche der eigenen Positionen.

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