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Auftakt Jazzfest Berlin

Jazz und Berlin, das ist eine lange Geschichte. 60 Jahre alt ist das Festival. Und hat viel durchgemacht. Musikalisch, organisatorisch, politisch. Ja, Jazz ist auch Politik. Nicht selten kontrovers. Wie in der Fest-Broschur nachzulesen ist. 116 Seiten. Liebevoll und zugleich kritisch aufbereitet. Ein Kaleidoskop der vielen Stile und Entwicklungen. Der Namen. Prominent, weniger prominent, aufstrebend. Verblichene Größen. Deren Klänge ewig nachwirken dürften. Newcomer mit grandiosen Potenzialen. Und nicht zuletzt Initiatoren und Organisatoren, deren Herzen seit jeher für den Jazz schlugen und schlagen. In unterschiedlichem Takt. Inklusive Dissonanzen. Denen die Beiträge in der Jubiläums-Schrift nicht ausweichen. Mit Respekt, Kenntnis, Engagement.

Es würde den Stellenwert des Jazzfestes spiegeln, hier, auch nur ansatzweise, aufzuzählen, wer in den Jahrzehnten auf der Bühne stand. Andererseits würde der Rahmen eines solch kleinen, bescheidenen Beitrags gesprengt. Und sich Scham breit machen angesichts derer, die man nicht erwähnt. Wenige seien genannt. Stellvertretend für die Vielen. Miles Davis, Miriam Makeba, Abdullah Ibrahim, Alberta Hunter, John Handy, Betty Carter. Männer und Frauen abwechselnd aufgezählt. Weil sich eine der Kontroversen darum drehte, inwieweit der Jazz männlich dominiert war oder wurde. Das ist Vergangenheit, möchte man meinen. Auch kuratorisch brach sich eine fulminante Emanzipation Bahn. Ohne Frauen wäre Jazz wie in Berlin weder mach-, noch denkbar.

Das wurde auch am Auftaktabend im Haus der Berliner Festspiele deutlich. Dort setzte sich die Pianistin Marilyn Crispell an den Flügel. 77 Jahre alt. …eine der vielseitigsten, feinfühligsten und zugleich fantasievollsten Improvisationsmusiker*innen des Jazz, wie es im Programm heißt. Und für wahr: Marilyn Crispell war das Highlight zu Beginn des Festivals. Ohne den beiden Formationen vor und nach ihr zu nahe treten zu wollen. Sie, die in ihrem musikalischen Leben in vielen Gruppen spielte, war das solistische Kleinod der fast fünf Stunden im ausgehenden Oktober. In wenigen Stücken förderte sie die ganze Vielfalt zu Ohren, die ihr Oevre ausmacht. Und es ist verwerflich, dass hier eine Klangprobe fehlt. Der Autor war starr gebannt.

Freilich: Schon das Entree war vielversprechend. Das Vilhelm Bromander Unfolding Orchestra hatte erst 2023 sein Debüt-Album veröffentlicht. Ein Jahr später nun tauchte das schwedische Orchester seinen Jazz im Zusammenspiel mit Deniz Schelfi (Gesang, Sitar) in indisch-europäische Sphären. Es war die Deutschland-Premiere. Eine faszinierende Mischung aus Klängen von einem fernen Kontinent mit skandinavischen Zutaten. Eine Mixtur, die die Seele anspricht. Gefühle gefühlvoll mobilisiert. Eine Balance herstellt. Zwischen dem, was uns eher unbekannter ist. Und dem, was Jazz-verwöhntem Gehör häufiger begegnet. Schnell verschmelzen die ersten Töne und der Gesang von Deniz Schelfi zu einem Arrangement, das gefällt, ohne gefällig zu sein.

Was nach Marilyn Crispell folgte, war auf seine Weise ein wild-schönes musikalisches Treiben. Jazz in virtuoser Vollendung. Eine Melange, der man mit einer guten Portion musikalischer Ironie zuhören durfte. Konnte. Vielleicht sogar musste. Dafür tat sich das Trio Decoy, bestehend aus Schlagzeuger Steve Noble, Bassist John Edwards und Pianist Alexander Hawkins mit dem Improvisations-Künstler Joe McPhee zusammen. Der nicht nur die Musik durcheinander wirbelte. Mit seinem, nennen wir es mal: unorthodoxen Saxofon-Spiel. Sondern der auch den humorvollen Rezitator provokanter Lyrik gab. Alexander Hawkins stürzte sich an diesem Abend auf seine Hammond B3 Orgel und damit auf Klangwelten, die man aus kaum erinnerten Zeiten kennt.

Was das Trio Joe McPhee mitgab, wirkte wie ein ständiges Rumoren in den Eingeweiden eines bestens geölten Maschinenhauses. Ein präzise polternder Hintergrund. Ein rhythmisches Vibrieren, das mehr als Basis war. Es wirkte wie ein unzerstörbares musikalisches Fundament, auf dem das freie Agieren McPhees wie das ständige Zaubern synkopischer Gegenbewegungen tobte. Aus dem die Erkenntnis wächst: Nichts ist im Jazz denkbar, nicht das free-ste Free, ohne einen soliden Unterbau. Der umso beständiger seinen Dienst versieht, umso ungezwungener er daherkommt. Jedenfalls bat dieser Auftakt zum diesjährigen Jazzfest Berlin für nie endendes Mehr zu beten. Weswegen auch in diesem Jahr öffentlich-rechtliche Sender die herrliche Musik übertragen.

Zum Abschluss sei, anknüpfend an einen zeitlichen nahen Beitrag, noch einmal erwähnt, wie sehr sich auch die Geschichte des Jazz im Diskurs um allerlei nicht nur zu Hörendes bewegt. Sondern auch im aktuellen Diskurs um Sag- oder Nichtsagbares. Um zu Hörendes und, so der vielfache Vorwürfe, Unerhörtes. Denn die Frage, was in der auch politisch bisweilen diffizilen Historie des Genres zitiert werden darf oder sollte oder muss erhitzt auch hier Gemüter. Das Jazzfest lässt sich aber nicht so ohne Weiteres von Lagern vereinnahmen. Es verweist mit Blick auf schwierige Debatten unter anderem auf eine n Beitrag in der Kulturzeitschrift Merkur vom 12. April dieses Jahres. Und den sollte jeder, der sich leichtfertig in der Debatte zur Wort meldet, unbedingt gelesen haben.

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