Zum 35. Jahrestag des Mauerfalls gab es etliche Aufsehen erregende Veranstaltungen. Eine, die besonders hohe Wellen schlug, fand im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt. Ein bislang durchaus angesehener Autor hielt eine Rede und teilte gegen das deutsche Staatsoberhaupt aus. Irgendetwas am Auftritt des Redners aus denkwürdigem Anlass hat mir missfallen. Eine streitbare Spurensuche.
Marko Martin. Dieser Namen sorgt jüngst für allerlei Furore. Nein, nicht allerlei. Sondern Furore in einer Sache. Die von vielen gefeiert, nur von wenigen mit Argwohn betrachtet wird. Marko Martin, politischer Reiseschriftsteller, so nenne ich ihn mal, mit gutem bis ausgezeichnetem Ruf, hatte sich zum 35. Jahrestag des deutschen Mauerfalls eine besondere Rede einfallen lassen. Er erinnerte darin an die ehemals zweifelhafte Haltung des heutigen Bundespräsidenten und schon immer Politikers Frank-Walter Steinmeier mit Blick auf Russland. Seinen Diktator Wladimir Putin und dessen schon früh erkennbaren kriegerischen Ambitionen Richtung Ukraine.
Dass dies für das Staatsoberhaupt nicht angenehm war, kann man sich denken. Und konnte man, wenn man Marko Martin Glauben schenken kann, auch sehen und hören. Steinmeier habe sich nach der Veranstaltung wütend über die – sagen wir: harschen Nebenangriffe des Redners gezeigt und geäußert. Wie wütend und, mag sein, ob überhaupt wütend, darüber gehen die Schilderungen auseinander. Aber das ist an dieser Stelle auch nicht wichtig. Wichtiger scheint, dass Martin einen Nerv getroffen hatte. Und dass dieser Treffer für mediale Beachtung wie selten gesorgt hat. Obwohl Marko Martins Vorwürfe per se nun beileibe nicht wirklich neu sind.
Marko Martin holte, ohne Übertreibung, ordentlich und zu Recht gegen eine politische Strategie aus, an der, zumindest im Nachhinein, schon viele, auch solche wie der Schriftsteller, scharfe Kritik hatten und haben. Eine Strategie, die, was Depoten dieser Welt betrifft, unvornehm formuliert zwischen Arschkriecherei und allenfalls sehr zurückhaltendem öffentlichem Argwohn changiert. Auf diese Erkenntnis hat Marko Martin kein copyright. Aber in aktuellen Kriegen und Krisen entfaltet sie, entsprechend vorgetragen, außergewöhnliche Verve. Denn spätestens wenn die Hütte brennt, sind klare Positionen gefragt. Am besten gerändert.
Entsprechend hat Marko Martin nicht nur seine Worte gewählt, sondern auch seine Kleidung. Blaues Sakko, gelbes Hemd. Die Farben der ukrainischen Nationalflagge. In diesem Aufzug, so das Kalkül, wie man unschwer ahnen könnte, würde das Sprechen über Freiheit und die ihr nicht angemessenen Verfehlungen deutscher Politik gegenüber dem totalitären Kreml-Personal besonderes Gewicht bekommen. In Martins Rede war vieles grundsätzlich richtig. Im offenbaren Schielen darauf, mit der persönlichen Attacke gegen den Bundespräsidenten explizites mediales Aufsehen zu erregen, aber zugleich Etliches auch persönlich mehr als fragwürdig.
Denn die Seitenkanäle, in denen sich Marko Martin bewegt, der als mal reiselustiger und launiger, mal als scharfsinniger politischer Beobachter des Weltgeschehens gilt, lassen am Scharfsinn seines Auftritts in Berlin zweifeln. Marko Martin schrieb einst für die Kommune. Einem Organ, das vormals unter Obhut des radikalen Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) erschien. Textet auf dem Portal Salonkolumnisten, von denen nicht wenige der umstrittenen Achse des Guten entstammen, die Aufklärung entgegen eigenem Bekunden den Kampf angesagt hat. Und arbeitet dem nicht weniger streitbaren und vielen anrüchigen Zentrum Liberale Moderne zu.
Gemein ist mehr als Manchen, die da und dort unterwegs waren oder sind, dass sie ein beachtliches Konvertiten-Dasein hinter sich haben und leben. Etliche waren einst als KBW-Spitzenkräfte glühende Verehrer von Autokratien und Diktaturen, bevor sie sich den Grünen andienten oder/und dann Think-Tanks gründeten, die vom Establishment fleißig gepudert wurden und werden. Auffällig ist jedenfalls, dass der vormaligen Ikonie der Mao-Kappen-Träger eine neue Ikonie folgt. Bei Marko Martin (und anderen) zum Beispiel, dass sie sich ihrer Ukraine-Solidarität durch das Tragen farblich eindeutiger Kleidung versichern. Eine neue Uniformität.
Viele, die derart drauf sind, haben bislang laut und beharrlich gegen Linke gewettert, denen es an der Fähigkeit fehle, die Komplexität politischer Realitäten und Entwicklungen zu begreifen. Und ihre Haltungen demgemäß zu überdenken und zu korrigieren. Was ihnen abging und abgeht: Diesen Anspruch auch an sich selbst zu stellen. Nämlich Politik in ihrer Komplexität zu sehen – und darob auch Anderen eine Änderung ihrer Haltung zuzugestehen. Diese Größe fehlt Marko Martin. Weshalb sein Auftritt im Schloss Bellevue eher schlicht war und nach außen simpel wirkte. Er hatte etwas Besserwisserisches. Überhebliches. Ohne Spiegelung.
Das genau ist aber konvertierten Linken gemein. Sie wechseln die Pferde, reiten aber in den gleichen Sätteln. Und schwingen gleichsam die Peitsche gegen die, die ihnen NUN nicht genehm sind. Sie haben ihre Sichtweisen geändert, nicht ihre Wesenszüge. Ihnen sind die alten Agitprop-Positionen peinlich, die sie nun mit neuem Agitprop-Gehabe kontern. Mit der Komplexität der politischen Landschaft nehmen sie es nach wie vor nicht so genau. Und glauben, Andocken an einen opportunen Mainstream reiche, um glaubwürdig zu sein. Marko Martin, bislang progressiv-liberaler Feinmechaniker, ist in diesem Sinne aufgerückt. Siehe seine Rede in Berlin!

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