Bislang galt ein Boykott im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt als Spezialität derer, die sich für die Sache der Palästinenser stark machen. Und war darob umstritten. Gegen einen Boykott nach Art der BDS-Bewegung (BDS=Boycott, Devestment, Sanctions), die damit die israelische Regierungspolitik trockenlegen will, richtete sich in Deutschland vor allem ein Diskurs-Lager: die, die darin israelbezogenen Antisemitismus sehen. Nun kommt heraus, dass der Boykott offenbar auch eine Spezialität der Netanyahu-Regierung wird. Die angeordnet hat, die linksliberale israelische Zeitung Haaretz zu boykottieren. Der Boykott ist also nicht mehr BDS-Alleinstellungsmerkmal.
Ich halte weder vom einen, noch vom anderen Boykott etwas. Anders als bei Boykotten gegen die südafrikanische Regierung der Weißen trifft man mit einem Boykott Israels ja keineswegs gezielt die Stützen einer fragwürdigen Politik. Sondern man trifft auch die, die dieser Politik in Israel selbst kritisch gegenüberstehen. Die täglich – mal mehr, mal weniger vehement, aber deutlich – gegen die Politik der israelischen Regierung protestieren, vielfach auch auf die Straße gehen. Man grenzt diese Kräfte quasi aus dem eigenen Protestspektrum aus, statt dass man sich mit ihnen zusammentut. Das ist misslich – und auch bei der Linken in Israel umstritten.
Ich bin dieser Tage von einer BDS-Befürworterin zu meinem Einwand darauf verwiesen worden, dass Israelis, welcher politische Couleur auch immer, eben Opfer bringen müssten. Dass sie also irgendwie Pech haben, wenn sie – obschon gegen die Regierung Netanjahu – vom Boykott getroffen würden. Etwa weil sie sich im Ausland aus Angst nicht als Jüdinnen und Juden zu erkennen geben wollen. Oder weil man mit Boykott Verlagen schadet, die auch linke Autorinnen und Autoren publizieren, die ausdrücklich eine palästinenserfeindliche Politik verurteilen und dies auch in die Öffentlichkeit tragen. Derartiger Boykott greift intellektuell deutlich zu kurz.
Er zeigt vordergründig eine Solidarisierung mit der Sache der Palästinenser, bewirkt zugleich aber auch eine Entsolidarisierung von jenen, die in Israel selbst gegen eine antipalästinensische Politik protestieren. Das ist kontraproduktiv – und schlimmstenfalls auch feige. Wer freilich gegen den Boykott als Mittel der politischen Auseinandersetzung in der Nahost-Frage wettert, darf sich nicht hinreißen lassen, selbst zum Boykott zu greifen. Das aber tun Institutionen in Deutschland. Und verstärkt jetzt auch in Israel. Indem die Regierung ihren offiziellen Stellen verbietet, Statements in jedweder Form gegenüber der israelischen Zeitung Haaretz abzugeben.
Der Boykott wird anscheinend auf jeder Seite hoffähiger. Man kann ihn wohlwollend als Teil, gar als eine Triebkraft des politischen Schlagabtauschs begreifen. Man kann freilich auch argumentieren, dass er eine nötige offene politische Auseinandersetzung untergräbt. Weil er sich als sich selbst genügendes Statement versteht. Ohne den anstrengenden Weg anzutreten, immer wieder aufs Neue Argumente im Auge des Konfliktsturms zu artikulieren. Künstler könnten ja beispielsweise versuchen, in Israel selbst ihren Protest gegen die dortige Regierung kundzutun. Widerstand manifestieren. Mit welchen Folgen auch immer. So wie es einst Künstler in Spanien taten.
Fehlt dafür der Mut? Der Boykott ist eine vergleichsweise bequeme Art des Protests. Er ist, anders als seine Protagonisten es wahrhaben wollen, nicht sonderlich kämpferisch. Vor allem aber zielt er im Falle Israels nicht darauf ab, die Kräfte zu bündeln, die es möglich machen, die fatale Politik der Regierung Netanyahu von außen UND von innen heraus durch Proteste anzugreifen. Er setzt sich durch Pauschalisierung israelischer Verantwortung unnötig einer Pauschalisierung des Verdachts, antisemitisch zu sein, aus. Und verkennt, wie viele Jüdinnen und Juden nicht einverstanden sind mit der palästinenserfeindlichen Politik der israelischen Regierung.
Ich ziehe das Bestehen auf einen gegebenenfalls harten Diskurs um die Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern (im Übrigen nicht nur den Palästinensern in Gaza und im Westjordanland, sondern auch in Israel selbst) einem Boykott vor. Auch deswegen, weil es damit um so glaubwürdiger wird, die unerträgliche Ausgrenzung israelkritischer Stimmen in Deutschland zu kritisieren. Darüber hinaus steht mir die Konsequenz des Internationalen Strafgerichtshof ebenfalls näher als Boykotte, weil damit der Rechtfertigungsdruck auf die israelische Regierung und die, die ihre Politik unterstützen, verbindlich erhöht wird. Solidarität steht gegen Sippenhaft.

Hinterlasse einen Kommentar