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Mittelstrecke Und Langstrecke

Warum, so darf sich der ja allen Argumenten zumindest offene Zuhörer fragen, werden eigentlich dauernd Mittelstreckenfragen zu Langstreckenwaffen gestellt. Und das nicht nur in Newssplittern, denen in der Kürze die Weitsicht abhanden kommt. Sondern auch in Talkshows, in denen es möglich wäre, mal Denkanstöße abzufeuern, die nicht auf halber Strecke schlapp machen. Etwa den, was denn eigentlich genau mit dem Einsatz von beispielsweise Taurus-Marschflugkörpern durch die Ukraine im russischen Angriffskrieg bewirkt werden soll. Was man also erwartet, dass Präsident Wladimir Putin macht, wenn sein Kreml-Dach eines Tags weggepustet würde.

Ob Wladmir Putin, dem man nichts Geringeres als in jedem Fall das Schlimmste zutraut, dann aus dem Häuschen ist und klein beigibt. Seine Truppen in die Heimat beordert. Das Dach in Moskau repariert und all die auf seinen Befehl zerbombten ukrainischen Städte. Oder ob das stimmt, was die Taurus-Apologeten über Putin sagen, dass er nämlich ein grenzenloser Diktator ist, der sich einen Dreck um den Feind und sein Wohlergehen schert. Und im Zweifel nicht mal um sein eigenes. Dann allerdings dürften auch die Langstreckenwaffen nichts bewirken. Aber diese Frage wird nicht gestellt. Und zwar weil man auf sie keine wirklich überzeugenden Antworten hat.

Überzeugende Antworten aber sind gefragt, wenn man denen, die glauben, in all dem Waffenhagel wäre es Zeit für Gespräche oder gar Verhandlungen, beweisen will, dass sie nicht Langstrecke, noch nicht mal Mittelstrecke, sondern ganz und gar Kurzstrecke denken. Was also ist der ja vielleicht tiefere Sinn der Taurus– oder taurusähnlichen Strategie? Ein Sinn könnte sein, dass Putin, vom Kreml aus gesehen, die Waffen, die von der Ukraine aus betrachtet immer weiter fliegen können, immer näher ans russische Machtzentrum rücken sieht. Und dass dadurch der europäische Gedanke, der mitfliegt, großrussischen Fantasien auf Dauer die Flugkraft nimmt.

Das hätte eine gewisse Logik. Die sich aber nicht mit der Auffassung deckt, dass Wladimir Putin ja fern jeder Logik operiert, unberechenbar herrschsüchtig und darin zugleich berechenbar ist. Ob er das alles angesichts von Mittelstreckenwaffen tut und ist oder angesichts von Langstreckenwaffen könnte mithin keine Rolle spielen. Oder aber man erwägt, den Mann gleich ganz aus der Welt zu schaffen, um ihn für immer und ewig zu entschärfen. Und die Ukraine und Europa auf diese Weise zu retten. Das aber fragt niemand ab, also spricht es auch niemand aus. Weshalb vorerst offen bleibt, was die Taurus-Marschflugkörper eigentlich genau ausrichten sollen.

Das wiederum ist der Punkt, warum bislang eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung nichts mit dem Ruf nach Taurus-Lieferungen anfangen kann. Sofern Umfragen das richtig wiedergeben. Es fehlt an konkreten Argumenten für Langstreckenwaffen. Und es gibt nur Mittelstreckenfragen. Die wegen ihrer mäßigen Reichweite immer dort in den Sinkflug fallen, wo es konkret werden müsste. Man kann daher von einer Art abgekartetem Spiel sprechen. Wenn das Spiel nicht so ernst wäre. Der Krieg, das haben freilich einige noch immer nicht recht verstanden, eignet sich nicht für abstrakte Diskussionen, an denen Millionen Menschenleben hängen.

Wie abstrakt die Debatten auch eine Langstreckenzeit nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine sind, zeigt auch die Palette der ExpertInnen. Der selbsternannten, der auserwählten. Mit mehr oder minder tragfähiger Expertise. Es gibt fast so viele Sichtweisen auf den Krieg wie Fachleute befragt werden. Das liegt vielleicht auch daran, dass die, die die Fragen stellen, auch aus einem unerschöpflichen Reservoir schöpfen. Von Glauben, Mutmaßungen, Dogmen. Weshalb sie, darum wissend, auch künftig vermutlich lieber Mittelstreckenfragen zu Langstreckenwaffen stellen werden. Denn da gibt es immer irgendwie gutklingende Treffer.

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