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Freiheit der Kunst

Wie politisch dürfen Künstler sein? Dürfen sie nur politisch sein, indem ihre Kunst politisch ist? Oder dürfen sie auf ihre Weise ihr Schaffen mit Politik verknüpfen? Dürfen sie nur ausstellen und haben ansonsten ihre Klappe zu halten? Und wenn sie ihre Klappe nicht halten, was dürfen sie sagen? Und wer bestimmt, was sie sagen dürfen? Fragen, die sich in der Kunst bislang nie so aufgedrängt haben wie heute. Nicht in der Art von cancel culture jedenfalls. Und häufig wohlwollend. Denn wer sonst sollte provozieren, wenn nicht die Künstlerin, der Künstler, die/der sich die Freiheit dafür nimmt. Mit ihrer/seiner Kunst. Und dem Drumherum. Aktionen. Auftreten. Reden.

Doch seit sich Kultur, auch die Kunst, herausnimmt, etwas zur Politik Israels zu sagen, ist es vorbei mit der Toleranz gegenüber den enfants terribles. Da kommt das Feuilleton, etwa der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Person eines Andreas Kilb daher, der Kunst diese Freiheit entziehen zu wollen. Zum Beispiel mit Blick auf die Rede von Nan Goldin zur Eröffnung ihrer Ausstellung in Berlin. Die deutlich auch Partei ergreift für die Palästinenser. Gegen die Regierungspolitik Israels. Na und? Andreas Kilb möchte ihr das Maul verbieten. Und Nan Goldin auf ihr exkl. Werk (ohne weitergehnde politische Aussagen) reduzieren. Als hätten das KünstlerInnen je mit sich machen lassen.

Geht es um Israel und Kritik an der Regierungsgpolitik des Landes, versteigen sich Feuilletonisten wie Andreas Kilb dahingehend, dies hätte in der Kunst nichts zu suchen. Nan Goldin hatte sich beschwert, dass in ihrer Arbeit Ballade der sexuellen Freiheit ein neues Dia, das sie hinzugefügt habe, von der Neuen Nationalgalerie abgemahnt worden sei. Richtig so, meint Kilb. Auf dem Dia hatte die Künstlerin ihre Solidarität mit den Menschen in Gaza, im Westjordanland und Libanon erklärt, und, so Goldin, mit ermordeten israelischen Zivilisten (was das Museum bezgl einer ersten Fassung bestritt). Das sei keine künstlerische Intervention, sondern ein Stück Agitation, so Kilb. Also Propaganda?

Agitation, so der Vorstoß des FAZ-Mannes, habe die Künstlerin Nan Goldin schon in ihrer Eröffnungsrede zur Ausstellung betrieben. IN der Ausstellung, die ihr Lebenswerk würdige, habe sie (deswegen) nichts verloren. Seltsame Töne, die das so freiweg behaupten. Geäußert von einem eigentlich kenntnisreichen Menschen, der vorsätzlich die Kulturgeschichte in einem ihrer wichtigen Wesen ignoriert. Nur weil ihm die künstlerisch-politische Stoßrichtung nicht ins eigene politische Portfolio passt. Welcher Begriff von der Freiheit der Kunst, so stellt sich die Frage, steckt dahinter? Und welcher Begriff von der (eigentlich notwendigen) Freiheit ihrer Protagonisten?

Unter anderen Kulturkritiker sind mittlerweile und zunehmend staatsräsonierender als die Politiker, die sich an mehr oder weniger scharfer Israelkritik reiben. Und ihr, zur Selbstbehauptung, das Etikett israelbezogener Antisemitismus verpassen. In der Absicht oder wenigstens der Hoffnung, etwa Zweifel an der Integrität des mit internationalem Haftbefehl belegten Premiers Benjamin Netanyahu im Keim zu ersticken. Vor allem tun sie, die Cancel Culture für eine Erfindung von Israelkritikern halten, genau das: Kultur abkanzeln! Mit einem Begriff, der dazu dient, Kunst nachhaltig zu beschädigen, weil er an zB stalinistische Kunst erinnert: Agitation.

Man muss nicht mit Nan Goldin einer Meinung sein. Man muss nicht einmal ihre Kunst mögen (auch darin besteht nötige Freiheit). Zu Glauben allerdings, ihr die Freiheit absprechen zu können, selbst über ihr Werk mitsamt politisch streitbaren Implikationen zu bestimmen, ist dreist. Hat man das bei anderen KünstlerInnen auch getan? Bei Jonathan Meese etwa und seiner versteckten Verherrlichung von Diktatoren wie Hitler und Mussolini? Die nicht intelligent war. Bloß Provokation. Ebenso streitbar. Hat man je derart offensichtlich und billig andere KünstlerInnen mit dem Vorwurf der Agitation diffamiert, wie es Andreas Kilb mit Nan Goldin unternimmt?

Allemal ist es Zensur oder cancel culture, der Kunst derart die Freiheit zu nehmen, die nirgendwo anders so weite Räume bespielen kann. Auch wenn das manchen nicht wahrhaben möchten. Wie sehr Zensur erfolgt, ist kürzlich auch dem französischen Historiker Vincent Lemire bewusst geworden. Er wollte in Berlin seine Graphic Novel Jerusalem. Die Geschichte einer Stadt vorstellen. Und diskutieren. Weil einer der Diskutanten, Volker Beck von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, seine Teilnahme abgesagt hat, wurde die Veranstaltung gecancelt (sic!). Lemire hatte Kritik daran geübt, dass die Regierung in Paris den Haftbefehl gegen Netanyahu nicht ausführen will.

So geht das. Inzwischen am laufenden Band. Vor dem Hintergrund einer äußerst umstrittenen Bundestagsresolution, die jedwede Israelkritik mit Antisemitismus gleichsetzt. Ohne sich zu vergegenwärtigen, dass sie damit geschätzt die Hälfte aller Jüdinnen und Juden in Israel zu Antisemiten erklärt. Die zu Hunderttausenden gegen die Politik von Benjamin Netanyahu auf die Straße gehen. Weil er mit dem notwendigen Kampf gegen den Hamas-Terror seine Freiheit verbindet, die gesamte palästinensische Bevölkerung ohne Rücksicht auf Verluste in Sippenhaft zu nehmen und die israelischen Hamas-Geiseln im Stich zu lassen .

Weite Teile der deutschen Kulturbranche verkommen derzeit zunehmend, aus Angst oder vorsätzlich, zu mehr oder minder lautstarken Sprachrohren einer fragwürdigen Haltung gegenüber Israel und seiner Regierung. Befeuert von Feuilletonisten, die ihnen politisch unliebsame Kunst stigmatisieren und KünstlerInnen ihr Handeln vorschreiben, am Liebsten gar untersagen wollen. Wenn es denn schon mit der Aussperrung nicht klappt wie gewünscht. Man kann sich im wahren Wortsinn selbst ein Bild davon machen. Und fragen, ob man zusehen möchte, wie der Kulturbetrieb auf diese Weise ruiniert wird. Ein Betrieb, der ohnehin finanziell ausgehungert wird.

Der Beitrag ist in einem wichtige Punkt korrigiert, weil es inzwischen Unklarheit darüber gibt, ob auf dem Dia, das Nan Goldin zu ihrer Werkschau hinzugefügt haben wollte, von Anfang an auch die zivilen Opfer auf israelischer Seite vorkamen – oder erst in einem zweiten Schritt genannt wurden. Ob das im Kern der Problematik etwas ändert, sei dem Leser überlassen.

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