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Resolutheit und Resolutionen

Wo sind eigentlich die alten weisen Männer? Die stets viel und oft Sinnhaftes zu den Disputen dieser Welt beizutragen hatten?
Joschka Fischer etwa. Redegewandt. Meinungsstark. Irgendwie abgetaucht.
Dabei gäbe es gegenwärtig eine Menge beizutragen. An klugen Gedanken in einem Meer von Resolutionen, Gegenresolutionen und Gegengegenresolutionen.
Nun, zumindest der Polit-Veteran Daniel Cohn-Bendit hat sich erbarmt. Und zum neuesten Streit im PEN Berlin geäußert. Erst in der Frankfurter Rundschau. Dann gemeinsam mit anderen Prominenten Vereinsmitgliedern in einem offenen Brief.
Einem weiteren, muss man sagen. Denn an öffentlichen Statements von Mitgliedern des Pen-Clubs mangelt es derzeit nicht. Die schreibende Zunft wird auch diesbezüglich ihrer selbst gerecht.
Manchmal auch aus einem Impuls der Selbstgerechtigkeit heraus.
Ein bisschen, so darf man unken, ist Daniel Cohn-Bendit sich selbst nicht ganz gerecht geworden.

Es ging und geht im PEN Berlin im Groben um die Haltung zum Nahost-Konflikt. Zur Rolle Israels, der Palästinenser, ihrer jeweils herausragenden politischen Protagonisten. Wie weit man auf der einen oder anderen Seite oder auf beiden Seiten steht.
Und im Speziellen um die Frage, wie weit die Solidarität mit Autoren der Region gehen kann, darf, soll. In Sorge um ihr literarisches, darüber hinaus reichendes geistiges und physisches Wohlergehen. Oder mit Blick darauf, dass viele bereits ihr Leben in Auseinandersetzungen und Krieg lassen mussten. Denn hier sehen sich die PEN-Mitglieder in besonderer Verantwortung.
Weil das nicht schwierig genug scheint, schwingt nicht erst am Ende immer auch die Debatte um einen möglichen oder vermeintlich oder gar tatsächlichen Antisemitismus mit.
Fraktionen im PEN beharkten sich in Resolutionen mit Standpunkten. Bespielten Pole und versuchten sich an Kompromissen. Die zu Streit und Austritten führten.

In dieses brennende Buschwerk des PEN hinein, ließ Daniel Cohn-Bendit wissen, dass ihn das alles, flott zitiert, ziemlich nerve.
Es erinnere ihn an an den Zoff, den alle mögliche K-Gruppen in den 68iger Jahren miteinander hatten.
Ein PEN, eine intellektuelle Vereinigung, kann keine Position zu Israel-Gaza haben. Und deswegen finde ich: Warum brauchen die eine Resolution? Die brauchen keine Resolution! Die können die Journalisten in Gaza unterstützen, die Schriftsteller in Israel, die Meinungsfreiheit, die gefährdet ist in Israel und natürlich in Gaza, wo es überhaupt keine Meinungsfreiheit gibt.
So Cohn-Bendits Worte. Er finde das Ganze selbstgerecht. Und könne den Team-Gedanken, der aufflamme nicht verstehen. Das sei doch Wahnsinn.
Die PEN-Debatte sei Ausdruck der Dekadenz der Intellektuellen.Undsoweiter.
Resolutionen würden jedoch den PEN (wie auch Parteien) zerstören. Man müsse diskutieren und nicht versuchen, einer Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Resolutionen, das scheint der Kern ihres Wesens zu sein, wollen zumeist etwas, was in komplexem Konflikten weder leicht noch sinnvoll ist.
Ihr Bemühen, sich resolut zu positionieren, untergräbt nicht selten die Vielschichtigkeit von Krisen, Konflikten und Kriegen. Oder es nimmt die Vielschichtigkeit auf. Mit der Folge, eben nicht mehr resolut sein zu können, also auch keine wirkliche Resolution mehr.
Was im PEN Berlin passiert ist.
Statt sich darauf zu verständigen, dass jeder ermordete, ums Leben gekommene oder in seiner Gedankenfreiheit drangsalierte Autor im Nahen Osten ein Opfer zuviel ist; punkt. Wurden Hintergründe ausgebreitet, Opfer-Rankings entworfen und infolgedessen Resolutionsentwürfe zerfetzt, und faule Kompromisse geschmiedet.
Was herauskam war weder robust noch resolut. Also nichts, woran sich eine Resolution wirklich fest- und damit belastbar machen ließe.
Was zurückbleibt, ist ein von Literaten geprägter Trümmerhaufen.
Der durch einen weiteren offenen Brief, den auch Daniel Cohn-Bendit unterschrieben hat, wieder zusammengefügt werden soll.
Wahnsinn! Folie! Um Cohn-Bendits Urteil aufzunehmen.

Gerade wer in Zeiten unzähliger K-Gruppen (K=kommunistisch) politisch sozialisiert wurde, kann sich an die Schwerkraft von Resolutionen erinnern. An die bleiernen Auseinandersetzungen in Initiativen, studentischen Organisationen etc, denen am Ende so etwas wie eine gemeinsame Stoßrichtung abhanden kam. Wenn sie denn überhaupt gewünscht war.
Wer nicht mit Resolutionen, sorry, bombadiert wurde, wurde mit der kleinen Schwester, der Solidaritätsadresse, ausgestattet.
Wenn es ausnahmsweise gut ging, dann orientierte man sich an der Mathematik und vereinte sich im kleinsten, gemeinsamen Vielfachen. Meist jedoch ging die kleine, aber effektive Eindeutigkeit im Rausch von Resolutionsentwürfen unter.
Hier könnte wieder die Erkenntnis von Daniel Cohn-Bendit greifen, der nur zu gut weiß, wovon er spricht. Und die intellektuelle Dekadenz könnte einem sympatischen und gesellschftspolitisch förderlichen Pragmatismus Platz machen.
Nämlich Debatten zu führen. Gegensätzliche Positionen vorzutragen und auszuhalten. Und nicht zusammenfügen zu wollen, was nicht zusammengehört.
Die Kontroverse, so Cohn-Bendit, sei ein Spiegelbild der gesamten Debatte in Deutschland. Man könnte auch sagen, einer Debatte, die am Ende zu der einen Wahrheit führen soll.
Und die von Dogmatismus und Staatsräson geprägt ist. Und die jenseits allen Begriffs-Streits, aller Rechthaberei und Selbstgerechtigkeit in vielerlei Hinsicht das Wesentliche aus den Augen verliert.

Als sich am 11. September 1973 General Augusto Pinochet an die Macht putschte und sich der friedliche Präsident Salvador Allende das Leben nahm, trat die Gruppe Inti-Illimani im Saal einer Frankfurter Fachhochschule auf.
Inti-Illimani befand sich gerade auf Europa-Tournee.
Der Saal war übervoll.
Hätte man die Hunderten gefragt, wie alles kommen konnte wie es kam, man hätte hunderte Antworten bekommen. Und ein fulminanter Streit hätte sich entzündet.
Eine Papier unter diesen Umständen und allen Aspekten: Undenkbar!
Es gab keine Resolution. Und keine Solidaritätsadresse.
Keine Worte. Nur Musik.



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