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Euphorie & Haltbarkeit

Allzu überschwängliche Glücksgefühle können trügerisch sein.
Und sich schnell ins Gegenteil verkehren.
In der Pathologie spricht man angesichts besonders dramatischer Schwankungen von einer manisch-depressiven Störung. Mit unberechenbaren Folgen.
Auch in der Politik gibt es extrem euphorische Phasen, die schnell Ernüchterung nach sich ziehen können. Es handelt hier aber nicht um ein noch immer schwer erklärbares Krankheitsbild, dem sich nur mühsam auf die Spur kommen lässt.
Das politische Wechselbad der Stimmungen ist sehr viel berechenbarer. Es hat, in positiver wie in negativer Hinsicht, durchschaubare Ursachen. Tragische Konsequenzen könnten verhindert werden. Vorausgesetzt, es gibt einen entsprechenden Willen.
Euphorie dort, wo sie politisch determiniert ist, muss nicht unbedingt trügerisch sein. Sie kann es aber. Und ist insofern durchaus ein Minenfeld.

Es gibt nicht wenige Beispiele, an denen sich das zeigte und zeigt.
Politische Umschwünge und damit einhergehende Euphorie mit anschließender Ernüchterung hat schon viele Entwicklungen gekennzeichnet.
Der Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein kann dafür stehen, der arabische Frühling bietet tragische Vorbilder – und es gibt den Klassiker Nicaragua.
Mindestens üble Autokraten, schlimmstenfalls brutale Diktatoren wurden aus ihren Sesseln gefegt. Es herrschte überbordende Aufbruchstimmung und maximale Zuversicht. Der Jubel auf den Straßen war grenzenlos.
Bis die Glücksgefühle von den Realitäten aufgesogen wurden.
Die Lage in den genannten Staaten war (und ist weithin immer noch), nach einem Moment der Euphorie, alles andere als nachhaltig beruhigend und hoffnungsvoll.
Begleitet, teils angefacht durch das wenig zuverlässige, häufig von egoistischen Interessen getragene und bisweilen hinterhältige Gebaren ausländischer Kräfte, wurde die anfangs grenzenlose Freude über den politischen Aufbruch jäh ausgehöhlt und zerstört.
Autokraten und Diktatoren der einen folgten Autokraten und dikatorische Machthaber anderer, ähnlicher oder gleicher politischen Couleur.
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Stabilität und wirtschaftliche sowie soziale Tragfähigkeit blieben auf der Strecke.
Und damit auch die zunächst jubelnde Bevölkerung.

Was zur Euphorie angesichts des Sturzes von Diktator Baschar al-Assad in Syrien führt.
Niemand soll und darf Syrerinnen und Syrern so ohne Weiteres ihre Glücksgefühle nehmen. Schon gar nicht von außen.
Wer so wenig gegen den gestürzten Machthaber getan hat wie der Westen, schon gar nicht. Allen voran die USA haben die Menschen in Syrien über Jahrzehnte bis in die Gegenwart hinein im Stich gelassen.
Insofern war es nur recht und billig, die vielen Flüchtlinge aus dem Land in Europa, auch und gerade in Deutschland, aufzunehmen.
Jetzt freilich die Euphorie in Syrien zu befeuern, um auf eine Entwicklung, die man selbst nicht mitgetragen, geschweige denn forciert hat, draufzusatteln, sich davon erneut eigene Vorteile zu versprechen oder zu sichern, ist gleichsam fragwürdig.
Allein die Tatsache, dass sich die USA schnurstracks nach Damaskus aufmachen, sollte eine Mahnung sein. Nichts ist den Amerikanern derzeit lieber, als in Zeiten des Ukraine- und Nahost-Kriegs Ruhe zu schaffen. Und sei es mit den Islamisten der HTS (Haiʾat Taḥrīr aš-Šām), unter deren Führung al-Assad gestürzt worden ist.
Außerdem gilt es ihnen (und dem Westen), ein Bollwerk gegen den Iran, gegen die Hisbollah und andere unliebsame Kräfte aufzubauen.
Und den Kampf des NATO-Partners Türkei gegen die Kurden gewähren zu lassen. Der sich vordergründig nur gegen den kurdische Arbeiterpartei PKK richtet. Aber alle kurdischen Bestrebungen zur Errichtung eines eigenen Staates meint.

Dass sich allzu überschwängliche Glücksgefühle schnell ins Gegenteil verkehren können, gilt auch für den laufenden Regimewechsel in Syrien.
Noch ist nicht ausgemacht, wohin sich das Land bewegen wird.
Erste größere Demonstrationen in der Hauptstadt zeigen, dass sich in der Bevölkerung neben Aufatmen Sorge breit macht.
Sorge um die Rechte der Frauen. Sorge um die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten. Sorge, dass es nicht so kommt, wie es sich die Mehrzahl der Menschen im Land wünscht, worauf sie hofft und setzt – notfalls mit Nachdruck auf den Straßen.
Die Führung der HTS gibt sich offen und bereit, die an sie gerichteten Erwartungen zu erfüllen. Jedenfalls zeugen die bisherigen Äußerungen davon.
Gleichsam schwingt bei ihr aber auch die Einsicht mit, dass etwa der wirtschaftliche Aufbau Syriens nicht ohne die tatkräftige Hilfe der internationalen Gemeinschaft zu bewerkstelligen ist.
Während sich die EU mit der Frage beschäftigen muss, ob sie die HTS nach dem Sturz von al-Assad tatsächlich noch weiter als Terrororganisation handeln will, muss sich die HTS überlegen, ob sie als Wolf im Schafspelz in die syrische Geschichte eingehen möchte.
Oder als ein islamistische Bewegung, die sich tatsächlich wandelt – und Versprechungen an die Bevölkerung Syriens erfüllt. Dann würde die Euphorie im Land nicht nur verständlich, sondern auch nachhaltig berechtigt sein. Und Enttäuschungen blieben aus.



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