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Kleiderordnung Schach Matt

Dieser Beitrag erschien, bevor Magnus Carlsen bei der Blitzschach-WM in New York mitmachen darf/durfte – in Jeans. Der Kleidung die zuvor beim Schnellschach-Turnier moniert worden war. Weswegen Carlsen dem Wettkampf den Rücken kehrte. Inzwischen hat der Weltverband Fide die Regeln gelockert. Ein Akt später Einsicht, dass pure Prinzipienreiterei sich am Ende bisweilen nicht wirklich durchsetzen kann.

Schon ist von Jeansgate die Rede. Beim Spiegel etwa.
Es geht um Magnus Carlsen. Den in der professionellen Schach-Welt seit Jüngstem verfemten großen Meister seiner Disziplin.
Und es geht genau um diese Disziplin. Die nicht nur darin besteht, Figuren auf einem Brett zum Nachteil des Gegners in Stellung zu bringen. Und dabei das Bestmögliche seines Verstandes aufzubieten. Seiner Cleverness. Bis zum Schach matt.
Sondern sich auch entsprechend in die für diese Disziplin eigens erdachte, nicht wenig strenge Kleiderordnung zu fügen. Ohne zu murren.
Weil Magnus Carlsen an diesem heiklen Punkt auch nach mehrmaliger Aufforderung ganz und gar nicht einsichtig war, wurde er, der Titelverteidiger, beim Schnell- und Blitzschach dieser Tage in New York, wie zu erwarten, disqualifiziert.
Die Kleiderordnung soll Professionalität und Fairness für alle Teilnehmer gewährleisten. Herr Magnus Carlsen hat gegen die Kleiderordnung verstoßen, ließ der Schach-Weltverband Fide wissen. Und dies sei, da gebe es kein Vertun, ausdrücklich verboten.
Carlsens Konter: Ich bin zu alt, um mir darüber Gedanken zu machen. Wenn der Ausschluss das ist, was sie wollen, gehe ich irgendwohin, wo das Wetter schöner ist.
Das war cooler formuliert, als es ein Weltmeister des alt hergebrachten Denksports je tun könnte. Und wäre an sich schon einen Titel wert.
Carlson ließ durchblicken, dass er in dem Konflikt nichts weiter als Prinzipienreiterei sieht.
Die, so darf man folgern, nichts mit Professionalität und Fairnesse zu tun hat. Sondern mit Sturheit und Starrsinn.

Der Sport und die Kleidung – das war schon immer eine heikle Verbindung.
Als ich als Jugendlicher in Frankfurt am Main das Tennisspiel erlernen wollte, wählte ich deshalb nicht den snobistischen Club am Palmengarten. Sondern den schnöden Postsportverein. Nicht nur aus finanziellen Gründen, die schwer wogen.
Ich dachte, damals schon rebellisch, dem Konflikt um das passende Outfit durch die bescheidene Wahl im Zweifel ausweichen zu können.
Von wegen! Weiß war Vorschrift. Von den Schuhen über die Socken und die Hose bis zum Polohemd, Stirn- und Schweißbändern.
Es hat lange gedauert und brauchte junge Wilde im Tennis, wie etwa einen Andre Agassi, später viele andere, um die Tenniswelt bunter zu machen.
Natürlich half auch die Ausrüstungsbranche mit, die neue, vielfältige Geschäfte witterte.
Da ging selbst die Kleiderordnung in Wimbledon, dem Ort des Tennis-Hochamts, flöten. Dies allerdings erst 2023. Nach 146 Jahren wurde die All-White-Regel aufgeweicht.
Auch andere Sportarten haben, bis heute, ein strenges Reglement hinsichtlich des Outfits. Mal ist es festgeschrieben, mal Selbstverständnis und selbstverständlich.
Meist handelt es sich dabei um Relikte aus hoch-elitären Zeiten.
Sag mir, welchen Sport du treibst, und ich sage dir, wieviel deine Eltern verdienen und welchen gesellschaftlichen Stand und Wert du hast.
Das wurde, wie sollte es anders sein, auch nach außen gekehrt.
Und niemand sollte daran rütteln, aus welchem Grund auch immer.

Wer versuchte, die Phalanx der Kleidervorschriften zu brechen, konnte wählen: Entweder er wurde in seiner Sportart ausgebremst oder ausgeschlossen. Und wählte, als Ausweg, einen anderen Sport. In dem es weniger um Äußerlichkeiten ging.
Oder er suchte mit voller Absicht und allen Konsequenzen die Auseinandersetzung. Mit dem Ziel, dem Sport unabhängig von überholten Regeln Tribut zu zollen.
Magnus Carlsen steht, so sieht es aus, der zweiten Lösung nah.
Zumal es keinen nachvollziehbaren Grund gibt, weshalb man im Schach, auch im Profi-Schach, nicht auch in Jeanshosen eine respektable Leistung erbringen könnte, selbst einen Titel.
Außer man würfe dem Delinquenten vor, er würde durch einen Verstoß gegen den Dress-Code den Gegner verwirren, ihn psychisch und infolgedessen im Spiel mit schwarzen und weißen Figuren über die Farbe blau nachhaltig destabilisieren wollen.
Das aber dürfte niemand ernsthaft behaupten wollen.
Insofern liegt Carlsen vermutlich richtig, wenn er annimmt, es gehe dem Schach-Weltverband Fide lediglich um Prinzipienreiterei.
Und er liegt richtig, dieser Prinzipienreiterei seinen eigenen Kopf entgegenzusetzen.
Denn um den Kopf geht es im Schach, beziehungsweise darum, was sich darin bewegt.
Schach wäre jedenfalls nicht mehr als nur eine weitere Sportart, die sich aus dem Korsett unsinniger Vorschriften und überlebter Vorschriften löst.
Das würde ihr neue Ehre und möglicherweise auch weiteren Zulauf bringen.
Etwas, was nicht schlecht wäre bei einem Sport, der vor allem mit dem Kopf arbeitet. Mit der Konzentration aufs Wesentliche und mit niveauvoller Cleverness.
Jetzt ist der Weltverband am Zug!



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