Wo immer man sich intellektuell verortet, am besten natürlich an der Front allen höheren Verstandes, führt kein Weg an dem Eckcafé vorbei. Dem Café de Flore in Paris. Dem Wohnzimmer unter anderen von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.
Um die beiden zu nennen, die stets zu aller erst genannt werde, wenn’s ums de Flore geht. Und deren Namen mitschwingen, wann immer man das Café besucht. Draußen oder drinnen.
Auf einen, eben: Café, oder einen Champagner oder auf ein Abendessen. An einem der kleinen Tische, die auf dem von der Geschichte abgewetzten dunkelroten Teppichboden stehen.
Oh là là, dort war der Autor also und spuckt jetzt große Töne! Ist das so?
Manchen meinen, wer reich ins de Flore geht, kommt arm wieder raus. Dabei sind die Preise auf dem Menu nicht höher als in den umliegenden Restaurants in Saint-Germain-des-Prés. Aber vielleicht gehört der Respekt vor den Preisen ja mit zur Legendenbildung.
Nach dem Motto: Hoho, wir waren da, aber huiiiii…nun ja. Das Klappern gehört zum Geschirr.
Dabei ist das Publikum aus dem Quartier, sind die Kellner weit weniger aufgeblasen, als viele der Touristen. Und jeder, was immer er wann trinkt oder isst, wird mit einer Höflichkeit behandelt, die anderswo gut täte.
Die Frau am Nachbartisch kam etwa um neun Uhr am Abend ins de Flore. Bepackt mit Taschen, die nicht von Louis Vuitton waren, sondern vom Supermarkt um die Ecke. Und es sah nicht so aus, als wäre das an ihr, was eher bescheiden wirkte, eine Camouflage.
Der Ober wies ihr einen schönen Platz zu. Nahm ihr die Taschen ab und stellte sie neben und auf die Stühle rund um den Tisch.
DIe Frau bestellte irgendeinen orangefarbenen Apéritif. Dazu Oeufs Coque und eine Menge Brot. So saß sie lange da und aß genüsslich vor sich hin. Die Eier machten 13,50 Euro.
Am Ende zahlte sie und ging, nicht ohne ein Merci & Bon soir des Obers.
Zuvor war ebenso zuvorkommend ein älterer Mann zur Tür hinaus begleitet worden, der – gefühlt ähnlich lange – an einem Tisch gesessen und sich sich dort, bei einem Cappuccino (8 Euro) und einem Glas reinen Wassers, ebenfalls nicht nur zu einer Stippvisite aufgehalten hatte.
Er blätterte in einer Zeitung und sog, so schien es, Wort für Wort auf. Er hatte die ganze Zeit über den Mantel anbehalten. Vielleicht, weil das, was er darunter trug, irgendwie wie ein Schlafanzug aussah. Seine grauen Haare waren verwuschelt zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Auch er wurde höflich bedient und verabschiedet. Niemand störte sich an ihm.


Was damit gesagt sein soll: Das Bohai, das um diesen denkwürdigen Ort gemacht wird, entspricht nicht ansatzweise dem Laissez-faire, das hier zu beobachten ist. Vielleicht weil die Menschen, die ins Café gehen, egal in welches, zum jeweiligen Inventar gehören. Oder prominent und nur dem Touristen unbekannt sind.
Aber das würde dem widersprechen, das auch anderswo in der Cité, nicht nur im de Flore, zu erleben ist. Diese Art, Würde zu pflegen. Die eigene und die des anderen.
Möglich auch, dass hier ein Paris beschrieben ist, das in weiter draußen liegenden Arrondissments ganz und gar anders aussieht.
Im Café de Flore, in dem der Autor auf dieser x-ten Reise in die Stadt der Liebe zum ersten Mal wagte, mit seiner Frau auch ein Abendessen einzunehmen, war, jedenfalls nicht an diesem Abend, nichts überdreht.
Man war an einem quasi heiligen Ort der Schriftsteller, Philosophen und Maler, dessen Namen sogar ein Literatur-Preis ziert, der Prix de Flore, den 1994 Frédéric Beigbeder ins Leben gerufen hat. Und doch wirkte nichts heilig.
Sondern so normal, wie ehedem hier Aushängeschilder der Grande Nation ein und aus gingen.
Und wir. Ein Touristen-Paar, das schauen wollte, ob man es und sich hier aushalten kann.

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