Morgens lasse ich mich gerne mit Jazz-Musik berieseln. Wahllos. Aus irgendeinem Jazz-Sender. Nichts, was mich kurz nach dem Schlaf aus gerade durchlebten Träumen reißt. Kein John Coltrane etwa. Seine Saxofon-Läufe sind mir zum ersten Café zu wild. Zu anstrengend. Wenn ich das sagen darf, ohne banausig zu klingen.
Denn ich liebe John Coltrane.
Wer nicht, der den Jazz liebt?
An diesem Morgen freilich wurde ich mit einer Musik wach, die ich nicht im Jazz verorten würde. Mit Lazy blues von – George Moustaki.
Einer Hommage an die Faulheit.
Es ist einer dieser kalten Wintermorgen in Berlin. An denen man am liebsten eine kleine Weile im Bett bleibt. Noch nicht in die Welt schaut. Die derzeit unwirtlich daherkommt.
Und statt dessen versonnen über Momente sinniert, die einen einlullen, als gäbe es das ganze Unheil da draußen nicht.
Dazu passt Lazy blues. Um nicht gleich vor dem Tag zu erschrecken.
Ein bisschen Jazz ist das Lied allemal.
Ich habe von George Moustaki das Gitarrespielen gelernt. Ohne dass er davon wusste.
Tausende Male seine Chansons gehört. Nachgespielt. Die Griffe geübt.
Er war, neben Leonhard Cohen, mein kleines musikalisches Heiligtum.
Mir war es damals wie heute egal, zu welchem Genre seine Musik zählen mochte. Ich war nicht streng damit. Anders, als der Lehrer, bei dem ich damals Klarinette lernte.
George Moustaki ließ mich davondriften. Und gab mir, der wie andere Jugendliche ein Rebell war, mit Sacco et Vanzetti auch sozialromantischen Flankenschutz.
Ich verehrte George Moustaki. Seine Musik. Seine Haare. Seinen Bart. Seine Stimme. Seine Auftritte auf der Bühne. Seine Aura.
Ich sah und hörte ihn mit hinreißenden musikalischen BegleiterInnen in der Hamburger Fabrik. Das war 1993. Und viele Jahre später nochmal in der gleichen Stadt. In der Laeiszhalle. Da sah man George Moustaki bereits an, dass ihm das Alter zu schaffen machte.
Lang vor dem Morgen, als seine sanfte, melancholische Stimme zu mir ins Bett kroch, habe ich auf YouTube, als ich mal wieder durch Moustakis Leben googelte, einen ganz und gar berührenden Film gesehen.
Ein Interview, das die spanische Sängerin Marina Rossell mit ihm führte. In Nizza, wohin sich Moustaki zurückgezogen hatte.
Zu sehen ist, wie Marina Rossell in einem engen, steilen Treppenflur zur Wohnung des Chansonniers hinaufsteigt. Und von einem schon gebrechlichen, aber freundlichen und mit dem Dasein versöhnten alten Mann begrüßt wird.
Einem Mann, der von Krankheit gezeichnet, nie seinen Charme verloren hat.
Marina Rossell hat unzählige Male Moustakis Lieder gesungen. Die beiden sind gemeinsam aufgetreten.
Jetzt besuchte sie ihn. Ein letzter liebevoller Austausch. Von Worten, die kaum wiedergeben können, wieviel Hingabe zur Musik und zum Leben in Moustaki seit jeher steckte.
Wenn ich, auch an jenem Morgen, Musik von George Moustaki höre, komme auch ich, der mehr als drei Jahrzehnte beruflich mit einer unversöhnlichen Welt umgehen musste, zumindest in Gedanken dem Wesenszug von Moustaki näher.
Fällt etwas ab für mich von der Hingabe zur Musik und zum Leben.
Ich hätte, gäbe es Musik wie die von George Moustaki nicht, manche Tage nicht nur nicht erfüllt begonnen, sondern auch unerfüllt zu Ende gehen lassen müssen.
Und ich weiß nicht, was das mit meiner Seele gemacht hätte.
Ich habe dem Chansonnier Moustaki, Sohn eines jüdisch-griechischen Buchhändlers und dessen Frau Sara, geboren und hineingewachsen in die kosmopolitische Atmosphäre des ägyptischen Alexandria, zu verdanken, dass ich nie die Hoffnung verloren habe.
Darauf, dass, was in der Gegenwart die Erde in Stücke zu reißen droht, doch irgendwie aufgehalten und dass die Welt zusammengehalten werden könnte.
Und der Lazy Blues seine friedliche Bestimmung findet.
Genre-übergreifend. Überall.

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