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Das Erodierende Europa

Georgia Meloni kann zur Brückenbauerin werden.
So lautete dieser Tage eine Headline in der Süddeutschen Zeitung. Gemeint ist zur Brückenbauerin zwischen den USA und Europa. Die italienische Ministerpräsidentin wolle die Gesprächskanäle zu Donald Trump offenhalten, war im Teaser zu lesen. Wenn sie klug agiere, sei dies sogar eine Chance. Meinte Marc Beise in seinem Kommentar.
Ähnliche Gedanken tauchten bereits kurz zuvor in der linksliberalen SZ auf, die eigentlich bekannt dafür ist, die politischen Dinge klug einzuschätzen.
Das Foto, das hier dazugestellt war, sagt eine Menge aus.
Es zeigte Meloni zusammen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Auffällig: beide in rosa gekleidet. Überschrift: Warum von der Leyen mit Meloni das „Team Europa“ bildet. Eine, so weiter, erstaunliche Allianz zum beiderseitigen Nutzen.
Zwar würde, wird fortgefahren, die Rechte zunehmend ins Zentrum europäischer Politik rücken. Es sei gleichwohl ein Experiment, das neben Risiken auch Chancen berge.
Es scheint so, als würde die Süddeutsche Zeitung in diesen unwirtlichen Zeiten geradezu beschwörend eine rosige Zukunft Europas malen wollen.
So rosig, wie es die beiden Politikerinnen dieser Tage gern zeichnen möchten.
Das Foto war nicht neu, man konnte es schon, welch Wunder, im vorigen Sommer allerlei Medienberichte zieren sehen.
Mag sein, das kennt man ja, das Foto wurde bisweilen fahrig aus den Archiven gefischt. Um zu illustrieren, wie sehr Zentraleuropa auf Eintracht gepolt ist.
Zugleich dürfte die rosige Zurschaustellung freilich dem gewieften PR-Dresscode entsprechen, der da eine gewisse Harmlosigkeit des deutsch-italienischen Gespanns vorgaukeln will.
Die Risiken, die an dem Politikerinnen-Duo haften, sollen sich pastellfarben in den Hintergrund schieben. Und die Chancen sich dem Betrachter öffnen.
Farbe macht mehr aus, als man es auf den ersten Blick annahmen mag.
Die Camouflage, auf die sich Brüssel und Rom verständigt haben, funktioniert jedenfalls.
Die Angst, der künftige Präsident der USA, Donald Trump, werde schlimmer agieren als man es eh schon ahnt, und seine Absichten seien verheerender als die politische Agenda der Rechten in Europa, frisst alle Distanz zu eben jener äußersten europäischen Rechten auf.
Und zu denen, die aus vielerlei Antrieb heraus mit Politikerinnen vom Schlage einer Giorgia Meloni gemeinsame Sache zu machen gewillt sind. Aus persönlichem Macht-Ehrgeiz vor allem, für den insbesondere, aber nicht nur, Ursula von der Leyen bekannt ist.

Wenngleich immer wieder vor einer rechts-konservativen Phalanx und einem damit einhergehenden Schaden für Europa und im Speziellen für die EU gewarnt wird, scheinen manche der Versuchung nahe, dem bereits vielfach erprobten und politisch wenig angegriffenen Schulterschluss etwas abzugewinnen.
Dann nämlich, wenn dieser Schulterschluss, insbesondere gegenüber dem künftigen US-Präsidenten und seinen politischen Ambitionen dazu führt, dass Europa noch etwas von seinem angeschlagenen Selbstbewusstsein retten kann.
Wer das in die Waagschale wirft, kocht freilich auf dünner Flamme.
Denn wo und wie auch immer damit kalkuliert wird: Trump & Co sind ist das europäische Selbstbewusstsein, sind die europäischen Interessen ganz und gar egal. Soweit es nicht seinen eigenen Interessen und dem der Vereinigten Staaten von Amerika dient.
Am Ende wird, im Zweifel, das europäische Selbstbewusstsein weiter unter transatlantischer Arroganz und Ignoranz leiden. Dafür aber wird das, was an rechtem Kotau für den Schulterschluss notwendig schien, sich dauerhaft und kaum reparabel wie Schimmel in die Wände des europäischen Hauses eingefressen haben.
Längst schon ist Europa mitsamt seiner EU-Zentrale in Brüssel kein Garant mehr für Demokratie und das, was man an aufklärerischen Errungenschaften über Jahrzehnte zum Vorbild für den Rest der Welt wie eine Monstranz vor sich hergetragen hat.
Längst schon hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen das rechte Lager in Europa hoffähig gemacht. Soweit Rechtsstaatlichkeit nicht allzu offen mit Füßen getreten wurde und es in ihr Konzept passte, die Grenzen zwischen konservativ und rechtsextrem aufzuweichen. Dass das teils mit Zustimmung liberaler Kräfte geschehen konnte und geschieht, die glauben, daraus Wasser auf die eigenen Mühlen schöpfen zu können, ist tragisch.
Ebenfalls tragisch ist, dass auch medial Gnade vor scharfer Kritik zu kommen scheint.
Und Chancen gesehen werden, wenn sich Europa – unter Zugkraft eines rechtskonservativen Lagers – den USA vor die Füße wirft.

Der beschworene transatlantische Brückenschlag ist aus Sicht von Donald Trump und seiner milliardenschweren Entourage, von der man bitter-ironisch mutmaßt, sie hätte in Washington die eigentliche Macht übernommen, vor allem ein Brückenschlag zu ultrarechten Kräften in Europa. Trumps Adjudant (oder wahlweise Tonageber) Elon Musk macht, wo immer er eine Gelegenheit findet oder bekommt, keinen Hehl daraus, wohin die Reise geht.
Rigoroser Neoliberalismus wie der des argentischen Präsidenten Javier Milei und die Agenda der europäischen Rechten in Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland sind die Maßstäbe, die die US-amerikanische Außenpolitik inspirieren.
Wer da von Chancen für einen Brückenschlag spricht, muss sich gefallen lassen, dass man ihm die Risiken entgegenhält. Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, eine Migrationspolitik, die wie in den USA auf Abschottung zielt, Protektionismus in der Wirtschaftspolitik, eine menschenfeindliche Sozialpolitik und ein Austrocknen humanistischer Kultur.
Die Risiken freilich sind, teils nicht nur im Ansatz, in Europa bereits zu besichtigen.
Nicht nur in Italien, wo Medien auf Meloni-Kurs geschaltet werden, der Sozialstaat, soweit er existierte, nach und nach ausgehölt und der Rechtsstaat gebeugt wird.
Vor allem auch in Osteuropa, in Ungarn oder der Slowakei, geht die Abkehr von europäischen Grundwerten, die einmal unverbrüchlich schienen, auf breiter Front weiter. Und kosmetische Strafaktionen laufen bislang weitgehend ins Leere.
Dazu kommt, dass sich – als Gegenpart zu Westeuropa, das sich anschickt, Trumps fragwürdiges Wohlwollen zu erbetteln – Regierungen in Budapest und Bratislava ungeniert an Diktatoren wie Wladimir Putin ranschmeißen.
Nicht nur in der Hoffnung, sondern in der Absicht, mit ihm eine Art Nichtangriffspakt zu schließen. Auch weil man fürchtet, von einem US-gesteuerten oder zumindest stark beeinflussten Europa und seiner Brüsseler Vertretung marginalisiert zu werden.

Europa müsste vor dem Hintergrund des Machtwechsels in den USA und einem Russland, das sich in Sachen Abrüstung, Frieden und Völkerrecht keinen Millimeter aus seinem Großmachtstreben herausbewegt, stärker denn je seiner Geschichte besinnen.
Stichworte: Aufklärung, Demokratie, Sozialstaatlichkeit.
Es müsste alles tun, um diese Werte hochzuhalten und sie nicht weder in den eigenen Grenzen noch von außen aufweichen zu lassen. Würde dies geschehen, ließen sich vielleicht auch höhere Investitionen in Sicherheit und Verteidigung rechtfertigen.
So aber scheint es, als würde die beste Verteidigung tatsächlich darin bestehen, sich zum Spielball US-amerikanischer und russischer Mächte machen zu lassen.
Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Offenbarungseid.
Das klingt, mag sein, ein bisschen nach politischem Protektionsmus. Der hat bislang nicht das Verhältnis zwischen Europa und den USA gekennzeichnet. Und, so der Vorwurf, auch in unzureichendem Maße das Verhältnis zwischen Europa, allen voran Deutschland, und Russland. Angesichts der Fliehkräfte, die von neuen internationalen Machtverhältnissen ausgehen, wäre es allerdings wichtig, zunächst einmal das eigene politische Terrain wetterfest zu sortieren und in seinem Fundament in jeder Hinsicht, vor allem auch in menschlicher, unangreifbar zu machen.
Und zwar im Sinne einer Politik, die derzeit weder in den USA noch in Russland eine Basis hat. Demokratiefreundlich, rechtsstaatlich, migrationsoffen, friedlich und sozialgerecht.
Es ist ein fataler Irrtum, zu glauben, dass sich unangreifbar macht, wer vor Imperatoren und Diktatoren kuscht. Das Gegenteil macht Sinn.
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag.

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