Viele halten ihn für selbstverliebt und selbstherrlich. Manche halten ihn gar für ein ausgemachtes Arschloch. Aber wie Magnus Carlsen gerade die Schachwelt aufmischt, das ist zunächst einfach ganz und gar wunderbar. Der Weltverband der altbackenen Sportart, FIDE (Fédération Internationale des Échecs), kocht im Inneren vor Wut. Das wird ihm aber vermutlich kaum helfen. Es wird schon geunkt, dass die Verbands-Wachhunde, die schon immer, wie auf dem Brett, alles schwarz-weiß gesehen haben, bald von den Rebellen sinnbildlich eingeschläfert werden.
Und Rebellen sind es allemal, die den Staub von der Oberfläche der Disziplin absehbar weggefegt haben werden. Dann nämlich, wenn Carlsen und Konsorten den Laden vollends auf den Kopf stellen. So wie Carlsen es mit großer Geste verkündet hat. Mit einem eigenen WM-Titel. Einer neuen Turnier-Serie. Einer Alternativen Weltmeisterschaft, die nicht den alten Regeln folgt. Und mit einer Freestyle Chess Operations GmbH im Rücken, aus der Taufe gehoben zusammen mit dem deutschen Millionen-Unternehmer Jan Henric Buettner. Die FIDE außer sich.
Carlsen, der zuletzt die Kleiderordnung durcheinander wirbelte und es wagte, die klassische Blitz-WM mit einem Remis zu beenden und den Titel brüderlich zu teilen, will seine alternative Weltmeisterschaft noch nicht zum alleinigen Kräftemessen hochziehen. Und erstmal ausloten, wie es die anderen Profis im Feld halten wollen. Wenn die aber, so ließ er wissen, gewillt sind, der verrosteten FIDE Paroli zu bieten, dann dürften die Tage gezählt sein, bis Verbandspräsident Arkadi Dworkowitsch mitsamt seinem bisherigen Imperium schachmatt gesetzt ist.
Es ist ein knallharter Konkurrenzkampf, der da im Gange ist. Ein Kampf der Alphatiere. Die gibt es im Schach, wie in jeder Sportart. Wenn man denn Schach für Sport hält. Und auch hier geht es, wie so oft, um Macht und Geld. Um Vorherrschaft. Doch seit jeher hat es Aufständischer mit bisweilen überproportionalem Selbstbewusstsein bedurft, um verkrustete Strukturen und Spielregeln aufzubrechen. Magnus Carlsen ist längst gern gewillt, das enfant terrible zu geben. Dass der Norweger dabei Eigennutz, natürlich auch finanziellen, im Auge hat, ist nicht verwunderlich.
Eine Zeit lang sah es so aus, als könnten sich die FIDE und der wilde Akteur im Welt-Schach auf eine Art vorläufige friedliche Co-Existenz einigen. Dann aber brach die Idee eines Nebeneinanders auseinander. Und es scheint so, als würde man erstmal im Status eines Kalten Krieges im Schach verharren. Deswegen messen sich in diesen Tagen in Weissenhaus an der Ostsee, bei der Premiere des neu geregelten Alternativ-Turniers, Vertreter der Schach-Elite im Modus nicht zu Ende ausgefochtenen Streits. Dem Spaß an der gegenseitigen Herausforderung und der gegenüber der FIDE wird das, so darf man annehmen, keinen Abbruch tun.
Das alternative Schach-Reglement lehnt sich an den Streitstil beider Lager an: Weniger vorhersehbar geht es auf dem Brett zu, dynamischer. Das Preisgeld, so ist zu lesen, ist üppig: 750.000 US-Dollar sind ausgelobt beim Auftakt im Luxus-Resort an der Ostsee, das Jan Eric Buettner gehört. Es sollen weitere Stationen folgen. Von Paris, New York, eventuell Oslo, Südafrika. Ein Grand-Slam. Wenn die Orte abgeklappert sind, wird man wissen, inwieweit das aufständische und zugleich auch eigensüchtige Konzept funktioniert. Und ob Magnus Carlsen der FIDE nicht nur via Dress-Code ein Schnippchen schlagen kann.
In jedem Fall wird die Schachwelt kräftig aufgewirbelt. Es wird, so darf man mutmaßen, nach dem Auftakt in Weissenhaus nichts mehr sein wie es war. Dass es dazu nicht nur starken, eigenen Willens bedarf, den Carlsen gegen allen Argwohn, der ihm entgegenschlägt, beweist, sondern auch eines starken Geldgebers, der sich über Konventionen hinweggesetzt, geschenkt. Es ist, wie es Fernando Pessoa in seinem Buch Ein anarchistischer Bankier erzählt: Nur wer Geld hat, kann es sich leisten, Altes aus den Angeln zu heben. Allerdings hat Pessoa auch die Kehrseiten gesehen.
Dass es nämlich so sein kann (und dürfte), dass auch diese, nicht zuletzt mit Geld gewonnenen Freiheiten, umschlagen in neue Unfreiheit. Denn an Stelle der FIDE-Welt könnte eine neue Carlsen-(& Buettner-)Welt treten. Die ihrerseits niemanden neben sich und schon gar nicht gegen sich duldet. Dann würde die alternativ gedachte Schach-WM nur eine Blaupause in Frage gestellter Strukturen – und im Kern bliebe alles irgendwie doch wie es war. Einer sagt, wo es lang geht, andere passen sich an. Damit wäre dann alle Radikalität dahin. Das scheint nicht völlig ausgeschlossen.

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