Ich habe mich während meines Germanistik-Studiums nicht sonderlich viel mit Fragen der Semantik beschäftigt. Ich studierte Deutsch und Sozialkunde, Sek II, wie es nüchtern heißt, also Richtung Gymnasium. Wollte Lehrer werden. Dass daraus Journalist wurde, verdanke ich unter anderem der Tatsache, dass diese Fächerkombination an Schulen damals hoffnungslos ausgebucht war. Im Nachhinein scheint es mir, als wäre es nicht schlecht gewesen, ich hätte mich mehr, vielleicht sogar ausschließlich mit Semantik beschäftigt. Sie scheint ein aktuell fruchtbares Feld.
Riviera des Nahen Ostens (Donald Trump) könnte die eine Seite sein, die das Feld begrenzt. Vollstreckungsoffensive (Robert Habeck) zum Beispiel die andere. Im Fall des US-Präsidenten geht es darum, fragwürdige Politik schön zu reden. Im Fall des grünen Kanzlerkandidaten darum, der Realität, deretwegen manche raten, nicht in Panik zu verfallen, etwas entgegenzusetzen, das nach hartem Durchgreifen klingt. Also nach dem Gegenteil von Schönreden. Dazwischen gibt es viele andere politisch-semantische Finessen, die meine Aufmerksamkeit wecken.
Semantik, das klingt in dem Zusammenhang möglicherweise ein bisschen puderig. Public Relation ist griffiger, früher hieß das Öffentlichkeitsarbeit. Framing könnte es, mittlerweile in nahezu alle Sprachschätze eingedrungen, auch betitelt werden. Wie dem auch sei, Wortwahl hat seine Adressaten. Und je nach dem, wen man im Auge hat, werden Begriffe ausgesucht, deren Ziel es ist, zu verfangen. Das klappt mal mehr, mal weniger. Mir kommt es so vor, als würden derzeit ganze Abteilungen damit beschäftigt, sich erfolgreich in Sachen Etikettierung zu schaffen zu machen.
Nimmt man einen der Pioniere der Entwicklungspsychologie, den Schweizer Jean Piaget könnte die Frage von Begriffen das Ergebnis einer über viele Stufen reichenden Anpassung an unsere Umgebung im weitesten Sinne sein. Andere in der Wissenschaft befassen sich unter anderem mit dem konkreteren Spannungsfeld zwischen Lüge und Wahrheit. In dem sich auch Worte wie Aufrichtigkeit, Vertrauen oder Rücksichtslosigkeit tummeln (so eine Studie der Uni Regensburg aus dem Jahr 2000). Beides hilft, dem Sprech von Politikern näher zu kommen, das Wesen zu begreifen.
Man weiß, wie schwer es sein kann, hinter programmatische Wort-Vorhänge zu schauen. Umso verlockender ist es seit jeher, Politik zu labeln. Zwischen Politik und etwa die Lebensmittelindustrie passt bisweilen nicht mal ein dünnes Blatt Papier. Man spielt mit der Annahme, dass es den Menschen draußen eher egal scheint, ob drin ist, was draufsteht. Es gilt vor allem, das Produkt zu verkaufen. Ob es sich um Limonade oder ein Parteiprogramm handelt. Das Geschäft zeigt sich an der Kasse. Was unterm Strich bleibt, erweist sich erst später. Das ist zunächst das System.
Doch jedes noch so simple System hat seine Tücken. Eine Tücke besteht darin, dass sich heute so genannte Faktenchecker auf den Weg hinter die Begriffe machen. Politische Etikettierer kommen ja nicht umhin, die Inhalte zu kennzeichnen. Dass sich hinter der Riviera des Nahen Ostens nicht die gefühlte Romantik der italienischen Küste verbirgt. Und dass sich hinter der Vollstreckungsoffensive viele Hindernisse auftun, auch wenn man die Fassade grün anstreicht. Und es finanziell und mit Blick aufs Asylrecht in etwa so kompliziert werden könnte, wie bei anderen Vorstößen.
Der Schwindel ist am Ende gar nicht so schwer zu erkennen. Und doch macht das Etikett stets mehr her, als das, was sich dahinter verbirgt. Gerade in Zeiten, da das Volk angesichts der Komplexität von Krisen den Hang hat, sich mit Lug und Trug zu trösten. Um so eher, je bedrückender die Lage. Bei Bert Brecht hieß es noch: Der Kommunismus ist vernünftig, jeder versteht ihn. Er ist einfach. Marxismus war schon immer ein Topf, aus dem auch politisch Andersdenkende fischten. Selbst wenn man in der Realität den Begriffen deutlich hinterher arbeiten muss(te).
Fürs Erste tun Begriffe ihre fragwürdigen Dienste. Wer wollte nicht an der Riviera in der Sonne liegen – insbesondere wenn es dort nach Trump-Plan keine Palästinenser mehr gibt, schon gar keine Hamas-Terroristen. Und wer wollte nicht zusehen, wie so eine unverfroren schnelle Ausweisung läuft. Auch wenn damit weder die Not von Millionen Asylsuchenden gelindert, noch irgendeine verheerende Messerstecherei verhindert wird. Das brutale Erwachen kommt später. Oft freilich ist es dann zu spät, Etiketten auszutauschen und zur Wahrheit zu kommen.

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