Dass der Begriff vom Diktatfrieden auf solch rasante Weise von einem auf den anderen Autokraten überspringen würde, hatte man geahnt. Und doch irgendwie gehofft, dass man, vor allem Europa, dem entrinnen könnte. Man kann nicht. Der noch amtierende Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nannte es jedenfalls bedauerlich, dass US-Präsident Donald Trump mit offenbar reichlich Zugeständnissen einen Frieden im Russland-Ukraine-Krieg herbeiverhandeln möchte. Ein Telefonat mit seinem Amtskollegen und Kollegen im imperialistischen Geiste Wladimir Putin – und schon steht die Schlachtordnung auf dem Kopf.
Gebietsabtretungen respektive -tausch, gestern noch eine Formel, die sowohl in Moskau wie in Kiew ins Reich der Fantasie katapultiert wurden, sind plötzlich zentrales Ziel von Verhandlungen. Eine NATO-Mitgliedschaft oder eine Anäherung der Ukraine an die Allianz aus Trumps Sicht erstmal nicht das Thema. Europa, das ist Pistorius und anderen in der EU quasi über Nacht klargeworden, wird sich zudem darauf einrichten müssen, die Geschäfte nach Verhandlungen und einem möglichen Friedensschluss alleine zu regeln. Sprich: Nach einem Diktatfrieden, eingefädelt von den Vereinigten Staaten, liegen Absicherung und Aufrechterhaltung in den Händen von Deutschland und seinen europäischen Partnern. Mit allem drum und dran, militärisch und finanziell.
Pistorius und der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha dringen zwar darauf, dass Europa im Zuge von Gesprächen über ein Ende des Kriegs in Osteuropa nicht ausgeschlossen werden dürfen. Aber deren Worte werden, das darf als sicher gelten, auf dem Weg über den Atlantik verhallen.
Ein Diktatfrieden, gestern noch von Europa und der Ukraine gescheut wie vom Teufel das Weihwasser, ist nun nicht nur möglich, sondern vom neuen Herrn im Weißen Haus, geradezu oktroyiert. Und man darf annehmen, dass er seinen Weg genauso ernst gehen will, wie den, den er für den Nahen Osten umrissen hat. Auch dort wird es, wenn auch mit Widerstand der arabischen Staaten gerechnet werden muss, zu einer Art Diktatfrieden kommen. Wer fragt, was das bedeutet, bekommt jeweils schöngefärbte Antworten. Donald Trump und seine opportunistische Entourage sind in einem Tempo unterwegs, das sie angekündigt hatten, das ihnen aber niemand so recht abnehmen wollte.
Bis jetzt. Jetzt werden die Europäer gewahr, worüber sie teils maximal ansatzweise nachzudenken bereit waren. Im Schnitte eher weniger als mehr. US-Präsident Trump ist dabei, sich die Welt mit anderen autokratischen Staatsführern aufzuteilen. Europa und seine Institutionen sind bei diesen Plänen Nebenschauplätze. Bis auf das, was an Milliarden von ihnen eingefordert wird, um einen Diktatfrieden, wo auch immer, wenn er denn nach amerikanischem Gusto installiert ist, aufrecht zu erhalten, sind sie in den Augen von Trump eine politische Marginalie.
Trump kapert nicht nur Land, wo es ihm wirtschaftlich (Panama, Grönland, Kanada) und politisch-strategisch (Gaza) in den Kram passt. Er kapert auch Schlüsselbegriffe, die gestern noch ganz woanders und bei ganz Anderen verortet waren, wie den Diktatfrieden. Aus weltpolitischen Unwörtern werden, kaum dass er die Macht in Washington übernommen hat, Worte des Jahres. In Erwägung, dass Begriffe im Zusammenspiel mit einem Überroll-Tempo gar nicht erst größer hinterfragt werden, laufen Telefone heiß, werden an allen möglichen Orten dieser Welt Konferenzen einberufen. Es ist das, was man im Fußball schwindlig spielen nennt. Wo immer, versuchen PolitikerInnen Schritt zu halten, etwa auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die dabei ist, mehr nachzuarbeiten als zu reagieren (beispielsweise in der internationalen Entwicklungshilfe). Da werden Bälle in die Luft gespielt und sich gegenseitig zugepasst. Während freilich Trump längst vor den Toren Moskaus und Kiews steht, um seinen Diktatfrieden schmackhaft zu machen. Putin wird ihm die Volten aus vielerlei Gründen danken. Sichern sie auch ihm den bislang vom Westen streitig gemachten Machterhalt zu. Derweil muss Wolodymyr Selenskyi froh sein, wenn er unter dem US-Diktat neuer Wahlen absehbar überhaupt noch sein Land verteidigen darf.
Donald Trump dürfte es mit seinen Plänen für Osteuropa und den Nahen Osten auch deswegen eilig haben, weil ihm andere Baustellen noch reichlich zu schaffen machen dürften. Dazu gehört das innenpolitische Durcheinander für das er gesorgt hat (u.a. Verhältnis zu Presse und Rechtsstaatlichkeit) sowie seine Beziehungen zu China (etwa Zölle). Denn vielleicht mag es ihm ja gelingen, Wladimir Putin mit scheinheiligem Respekt vor dessen diktatorischem Impetus zu beruhigen. Mit dem kommunistischen China, das seine imperialistischen Ambitionen auf andere Weise weltweit untermauert, wird es so etwas wie einen Diktatfrieden nicht geben.

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