Bislang glaubte Deutschland, glaubten die europäischen Staaten, in irgendeiner Weise mit den neuen Machtverhältnissen in den USA klarkommen zu können. Die transatlantischen Verbindungen, so schallte es aus allen politischen Ecken, sollten aufrecht erhalten werden. Zum einen, um zu signalisieren, dass man die neuen Herren im Weißen Haus auf eine gewissen Weise per se respektvoll anerkennt. Zum anderen, um bezüglich Krisen und Kriegen weiter im Spiel zu bleiben. Doch Trump, Vance, Musk & Co pfeifen drauf. Europa, war da was? Europa, das ist für die gegenwärtigen US-Haushüter ein politisch abgewetztes Auslaufmodell.
Der Auftritt des neuen US-Vizepräsidenten bei der Münchner Sicherheitskonferenz sollte dem Letzten in Europa die Augen öffnen, der bislang weiter daran glaubte, die Vereinigten Staaten ließen es zu, dass der europäische Kontinent künftig noch eine gewichtige Rolle spielt. Selbst die rechten und rechtsextremen Kräfte, die europaweit stärker werden und meinen, zumindest sie würden von Washington ernst genommen, werden sukzessive eines Schlechteren belehrt werden. Es gibt eine gänzlich veränderte Schlachtordnung in Übersee. Diese Ordnung hat nichts mehr mit dem Bild eines herkömmlichen Staates gemein.
Sie ist weniger mit dem Namen Donald Trump oder J.D. Vance verbunden, als mit dem Elon Musks. Noch enger aber mit dem Namen Curtis Yarvin. Er ist der faschistoide Vordenker einer Strategie, die schon im Frühjahr 2022 bekannt wurde. Kern ist, so in Medien nachzulesen, eine staatsfeindliche Säuberungswelle, die längst nicht die Imagination kruder Verschwörer ist. Und sich auch nicht als fabulierter Irrsinn abspeichern lässt. Yarvin und seinem ultraautoritär-gepolten Mitstreiter Peter Thiel schwebt eine Tech-Dikatatur vor, in der auch scheinbar mächtige Leute wie Trump nichts weiter als billige Komparsen sind.
Als Yarvin seine Vorstellungen vor drei Jahren öffentlich machte, war nicht absehbar, ob Trump die Präsidentenwahl in den USA für sich würde entscheiden können. Schon damals freilich erklärte Yarvin für den Fall der Fälle, in einem neu zu installierenden Machtkonstrukt werde nicht Trump der CEO sein, sondern eher eine Art Chefaufseher im Aufsichtsrat. Wer dieser Tage Videos von Frage-Antwort-Runden von Musk und Trump angeschaut hat, dem fällt es nicht schwer, gewahr zu werden, wer schon heute Herr und wer Hund ist. Das Weiße Haus, noch repräsentativ, wird absehbar nichts weiter als eine Hundehütte sein.
Was Elon Musk derzeit – juristisch torpediert, aber das juckt ihn nicht – mit dem Zerkleinern und Zerhacken US-amerikanische Behörden betreibt, mit Zustimmung des Präsidenten, der schon keine andere Wahl mehr hat, ist quasi das Vorspiel dessen, was ihm und Konsorten vorschwebt: Die gänzliche Zertrümmerung des Regierungsapparates, wie man ihn bislang kennt. Was J.D. Vance, der sich durchaus für Yarvins radikale Idee offen zeigt, in München präsentierte, war in Ton und Haltung das, was die Tech-Revolutionäre im Sinn haben: Die Diskreditierung und Marginalisierung jedweder demokratischer Instanzen.
Am Ende, so ist nach der rechtstotalitären Doktrin absehbar, wird die Demokratie konsequent vernichtet sein. Zur Zeit verkleidet Musk seine Pläne in die Camouflage von Kostenersparnis und Effizienz. Dahinter dürfte jedoch der Beginn einer kompletten Zerstörung aller Strukturen stecken, die bislang die Vereinigten Staaten zusammenhielt, wenn auch in unterschiedlich belastbarer Form. Was heute Behörden trifft, trifft morgen das Staatsgebilde an sich. An seine Stelle tritt ein konzerngleiches Machtzentrum aus Chefs, die das uneingeschränkte Sagen haben, und Aktionären. Das Volk wird untertänige Staffage.
Wäre dieses aufgerüstete Orwell’sche 1984 tatsächlich zum Greifen nah, würden sich europäische Überlegungen, wie man mit den USA auch künftig zusammenarbeiten, Dinge regeln, verhandeln könnte, erübrigen. Bei Orwell geht es um einen totalitären Staat. Die aus den Vereinigten Staaten herüberschwappenden Vorstellungen sehen den Staat dagegen als für alle Mal überwunden an. Es gibt nur noch Konzerne, mit Interessen, von Geld und dessen Vermehrung gesteuert. Wer sich dem in den Weg stellt, wird entlassen. Ohne Einspruchsrecht. Wo kein Staat, da auch keine wehrfähigen Instanzen.
Wie sollte man als europäischer Staat, als Europa, mit einem unter Absolution von Menschen wie Musk und Yarvin und Thiel stehenden Konzern, ohne einen Präsidenten, Minister:innen, einem Parlament, demokratisch entstandene Institutionen, ohne unabhängige Justiz, ins Gespräch kommen, wenn die sich, fernab internationaler Regeln, weigern? Wenn es niemanden gibt, der sie kontrolliert. Wenn sie sich weder rechtfertigen noch in Abständen zur Wahl stellen müssen. Europas Antwort auf die Entwicklung in den USA wird sich also fernab aller gewohnten Strukturen und Kommunikationsebenen bewegen müssen.
Will heißen: Die Realitäten, auf die die Welt Dank dessen, was aus den USA auf sie zukommen dürfte, wenn sich das amerikanische Volk nicht breit auf die Hinterbeine stellt, reagieren muss, werden gänzlich anders sein. Mit gewohnten Bordmitteln, etwa zurückhaltender Diplomatie, wird man dem nicht zu Leibe rücken können. Zumal bei der Rechten in Europa Ansteckungsgefahr besteht, zumindest was das Schielen auf totalitäre Macht angeht. In diesem Sinne gilt es, sich Musk & Co äußerst offensiv entgegenzustellen. Und einen Teufel zu tun, sich im Glauben an das mäßigende Wort die Hände zu reichen.
Es gibt Grenzen, hinter denen gut gemeinte Diplomatie einem Verrat an den eigenen Wertvorstellungen gleichkommt. Der Auftritt von Vize-Präsident Vance in München zeigt, dass die Repräsentanten der USA sich ohne Zögern auf etwas zubewegen, was jenseits aller hinnehmbaren Umgangsformen liegt. Jenseits von Demokratie und Rechtsstaat. Jenseits von Menschlichkeit, Menschenwürde und Respekt. Das ist keine moralgetränkte Einschätzung. Das ist der Kern dessen, was Musk und seine Mitstreiter im Sinn haben. Da gibt es null politische Spielräume mehr. Sondern nur knallharte Zurückweisung.
Und keine Zugeständnisse mehr. Sollen die USA und ihre aufstrebende autokratische Eliten-Kaste ihren Kram alleine machen. Europa übernimmt weder Verwantwortung dafür noch trägt es die Konsequenzen. Wer meint, andere ignorieren zu können, muss wissen: Europa putzt weder die Toiletten noch leeren Deutschland und seine Partner die Mülleimer. Wenn die US-Tech-Eliten glauben, die Geschäfte regeln zu können, während andere die Drecksarbeit machen, müssen sie spüren, dass ihre Rechnung nicht aufgeht. Vielleicht wäre für den Anfang gar nicht schlecht, Tesla vom brandenburgischen Hof zu jagen.
Jenseits des Atlantik verstehen es erste Prominente, ihre Tesla-Schlitten mit Abschleppwagen abtransportieren zu lassen. Andere verlassen das Land oder haben es vor. Man darf damit rechnen, dass, wenn Musk und Anhang so weitermachen und Trump den verlängerten Arm gibt, Medien ins Off schalten und Unternehmen mit weltweiter Reputation dem US-Markt den Rücken kehren. Ob dass gegen Orwell 1984 3.0 hilft, lässt sich nicht abschätzen. Aber einen Versuch ist es wert. Die Alternative ist keine Option. Denn sie verheißt einen KI-gesteuerten Faschismus. Mit globalen Folgen, die nicht mehr einzufangen sind.

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