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Das Große Wabern

Kaum ist die Bundestagswahl gelaufen, beginnt das große politische Wabern. Man gibt sich realitätsnah und ist zugleich realitätsfern. Die kurz aufblitzende Einsicht in Notwendigkeiten wird vom Mangel an strategischer Weitsicht und dem Nichtmangel an alten Eitelkeiten durchkreuzt. Kein wahrhaftiger Lichtblick. Vor allem dort, wo jetzt mal ein bisschen Tempo, gepaart mit Sinnhaftigkeit, gefragt wäre, nämlich in der Ukraine-Politik, herrscht weiter politisches Durcheinander. Es gibt keine wirklich belastbaren Pläne, wie es nach dem Eklat im Weißen Haus weitergehen könnte. Sitzungen der EU und der potenziellen Koalitionspartner in D legen das ganze Dilemma frei, das sich seit dem Überfall Russlands auf den Nachbarstaat aufgestaut hat. Unter Verlass auf eine USA, der nie zu trauen war und ist.

Was in Europa zu besichtigen ist, ist erst einmal eine nach außen große Betriebsamkeit. Mit zwei Zielen: Der Ukraine, die gerade nach einer Abfuhr in Washington dort letzte Bande der Unterstützung herbeikniet, irgendwie über die Runden zu helfen. In dem die Lücken, die die USA reißen, militärisch gestopft werden, wenn auch notdürftig. Und zugleich das Schutzschild in Europa, auch in D, auf- und auszubauen, wo es rudimentär existiert. Das kostet Geld, dass in D dieser Tage frei geschaufelt werden soll. Aber auch Zeit, denn wenn US-Präsident Trump Europa im Stich lässt, und danach sieht es aus, wird das sehr schnell Wirkung zeigen. Sehr viel schneller, als dass Europa eine eigene belastbare Strategie entwickeln kann. Abgesehen davon, dass man sich überhaupt erstmal zusammenraufen muss.

Machen wir uns nichts vor: Hinter der Proklamation neuen europäischen Selbstbewusstseins, das zu befeuern sei, und zwar in waffenstarrendem Direktsinn, steckt im Grunde zunächst nicht mehr als Verzweiflung. Es gibt weiterhin keine tragfähigen Perspektiven. Weder was die Zukunft der Ukraine, auch vor dem Hintergrund russischer Friedensverweigerung, zumindest der Verweigerung von Frieden ohne beträchtliche, kaum zumutbare Zugeständnisse, betrifft. Noch was das transatlantische Verhältnis angeht. Und auch nicht, wohin man langfristig mit Europa steuern möchte in einer Welt, in der Autokraten vom Schlage Trumps und Putins die Geschehnisse diktieren wollen. Jeder auf seine Art. Und auf seine Art verheerend. Europa macht derzeit deutlich, was seit Jahren absehbar ist: es ist nicht handlungsfähig.

Als Russland die Krim annektierte, ließ man es gewähren. Alles nicht so schlimm, Hauptsache, die Energie fließt. Als die Ukraine von Russland überfallen wurde, ließ sich die EU von Selenskyi in verbalem Dauer-Bombardement eintrichtern, nur militärische Gegenwehr könne zu einer Lösung führen – im Sinne Europas und der Demokratie. Auch die USA kletterten ins Boot. Als US-Wahlen anstanden, dachte man, unter einer demokratischen Präsidentin Kamala Harris könne man so weitermachen. Dann kam Trump und nun schreibt er die Bedingungen vor, unter denen es weitergehen könnte, vor allem mit Rücksicht auf Moskau. Europa steht da, schaut zu, verharrt im Modus der Ratlosigkeit. Hinter der Fassade tapferer Willensbekundungen tut sich gähenende strategische Leere auf. Geld hilft da kaum, eigentlich gar nicht.

Es wird, ob man nach London, Paris, Brüssel oder Deutschland schaut, mit gigantischen Milliardenbeträgen, die man in Aussicht stellt, gewedelt. Für eine Wehrhaftigkeit, wenn alles ganz schlimm kommt. Doch Vorschläge, wie man dorthin gelangen könnte, dass es erst gar nicht so grausam schlimm wird, wie das in nach schlimmsten Perspektiven der Fall sein könnte, sind nirgendwo zu entdecken. Selbst wenn sich in der EU mehrheitlich der Willen verfestigen könnte, man müsste mal langsam daran gehen, eine wirklich eigene Politik, abgesichert aus eigener Kraft, entwickeln, dürfte eine Umsetzung schwierig sein. Ungarn und Tschechien blocken alles, was Sinn machen könnte, unter dem Dach notwendiger EInstimmigkeit ab. All das, was jetzt an Reformen gefordert wird, kommt für die komplexe Weltlage zu spät.

So ist das, wenn man Jahrzehnte glaubte, mit Russland ließe sich schon irgendwie klarkommen, zumindest die USA seien ein grundsolider verlässlicher Partner im Eingrenzen oder gar Lösen von Konflikten. Die neue Autokratie des Donald Trump macht alles zu Makulatur, was auch nur annähernd hier hilfreich sein könnte. Es interessiert ihn nur das Geschäft, sein Amerika. Ob es um die Ukraine geht (Stichwort Rohstoffe) oder den Nahost-Streit (Stichwort Gaza-Riviera) – er zerstrümmert mit absurden, hinterhältigen, eigensüchtigen Offensiven die Welt, die ihm bis auf ihren Nutzen für eigene Interessen, am Allerwertesten vorbeigeht. Wer in Europa eine Zukunft sucht, muss Trump abschütteln, und den europäischen Kontinent von rechten Trump-Apologeten schützen. Und zugleich eine eigene demokratische Perspektive aufzeigen.

Doch wer zuerst Waffen auffährt und dann überlegt, was eigentlich zu schützen ist, hat das Pferd schon vom Schwanz aufgezäumt. Denn es ist ja nicht so, dass der Ukraine-Konflikt, gepaart mit der autokratischen Nomenklatura der Vereinigten Staaten das einzige Problem ist, das gelöst werden muss. Es gibt derzeit nichts an politischem Fortschritt, was herzeigbar wäre. Nicht in der Migrations-, nicht in der Klima-, nicht in der Wirtschaftspolitik – und nicht in der Frage, wie Europa in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen soll. Soll es ein Europa sein, das sich von rechten Kräften treiben, von Politikern vom Schlage eines Victor Orbán in die Parade fahren, von neuen Beitrittsländern wie auf dem Westbalkan noch mehr Schwierigkeiten einbrocken lässt? Von einem Europa der Aufklärung sind wir jedenfalls weit entfernt.

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