Wo immer in diesen unwirtlichen Zeiten über Mängel geklagt wird: In einer Branche herrscht Hochkonjunktur. In der Branche der Expert:innen. Vor allem jener, die zu Krisen und Kriegen sprechen. Denn auch dort herrscht kein Mangel. Das ist fürchterlich, finden die Einen. Das ist bedauerlich, sagen Expert:innen. Um zugleich heimliche Freude zu empfinden. Endlich können sie raus aus ihren Elfenbeintürmen, in TV-Talkshows, auf Podcasts und Portale. Mit vermeintlich distanziertem Blick und Verstand nehmen sie unter die Lupe, was die Welt bewegt. Nur selten hoffnungsvoll, meist angstbesetzt. Was dieses Geschäft der Fachkräfte, nach denen sonst verzweifelt gesucht wird, ordentlich ankurbelt.
Denn Angst, so sagt es dieser Tage der Experte Ulrich Hoinkes in der tageszeitung, ist etwas, was durchaus zu Stärke und Zuversicht führen kann. Bei vielen Expert:innen mündet die Expertise deswegen in militaristischen Opportunismus. Danach können gar nicht genug Milliarden in die europäische Aufrüstung gepumpt werden. Zwar stehe der Russe quasi kurz vor Berlin. Aber wenn wir uns beeilen, was insbesondere wegen der Unzuverlässigkeit der USA Not tue, könnten wir ihn abschrecken – oder gegebenenfalls zurückdrängen. Mit dieser Einsicht lassen sich allemal Mainstream-Punkte sammeln. Expert:innen bewegen sich hier gefahrlos auf Augenhöhe mit etablierter Politik, in Berlin und der Brüsseler EU-Zentrale.
Andere nehmen die dort geschürte Angst, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Danach ist niemand harmloser als Kreml-Diktator Wladimir Putin. Der lasse zwar, soweit könne man mitgehen, mit dem Überfall auf die Ukraine alte großrussische Fantasien spielen. Weiterreichende Pläne aber werden ins Reich der Märchen gerückt. Man schaue sich nur mal an, wie Moskau unter Wirtschaftsdesaster und Rüstungsproblemen ächze. Nein, hier würden, so sagt es dieses allerdings weitaus kleinere Lager der Expert:innen, nur Gründe gesucht, dem angeknacksten europäischen Selbstbewussein mit bellizistischen Visionen auf die Sprünge zu helfen. Das sei vor allem sozialpolitisch kontraproduktiv.
Zwischen diesen beiden Polen der Betrachtung des Russland-Ukraine-Konflikt rangieren noch allerlei abwiegende Expert:innen. Die aber haben, weil ihnen der Mumm zur Besetzung von Mainstream oder Verharmlosung fehlt, eher schlechte Nachfrage-Karten. Einer von ihnen ist beispielsweise der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. Der zumindest im auf Diversität der Meinungen bedachten Freitag zu Wort kommt, hier aber eine intellektuelle Nische besetzt. Die besagt, dass das gerade zum Auftrumpfen neigende Europa bislang nicht mal finanz- und außenpolitisch zusammensteht. Wie sollte es dann plötzlich sicherheits- und verteidigungspolitisch überzeugend agieren können? Eine gute Frage.
Expert:innen von Rang stellen freilich keine Fragen, sondern geben Antworten. Denn sie wissen: Politik und das gemeine Volk lechzen danach. Und da gibt es ja noch – neben Putin – diesen US-Präsidenten Donald Trump, dessen brüllender weltumfassender Strategie man mit Einem nicht kommen sollte: mit Geisteskraft. Hier helfe nur Eines: Entweder man entwickele hurtig so etwas wie eine grenzübergreifende Europa-Räson. So sagen es die Mainstrem-Expert:innen. Oder, so sagen es die, die daran Zweifel haben, man pfeife auf eine eigene starke Sicherheits- und Verteidigungsphalanx – die am Ende nur einen Alles vernichtenden Atomkrieg provozieren würde. Und dann, so klingt es, wäre ohnehin Alles für die Katz gewesen.
Expert:innen aller Couleur mögen, für sich gesehen, nachvollziehbare Gründe für ihre Positionen haben. Allein es fällt dem in Krisen- und Kriegsfragen kenntnisarmen Menschen schwer, dem ein oder anderen mehr oder weniger Einsichtigkeit zu schenken. Man kann sich die Argumente anhören, sie mit eigener Angst, Zweifeln, Hoffnungen abgleichen – und am Ende zu einem persönlich einigermaßen tragfähigen Schluss kommen. Die Expert:innen allerdings müssen, so dünkt es, weiter an eindringlichen Szenarien basteln, um Aufmerksamkeit zu generieren. Und zugleich Schulterklopfen, Fördergelder oder/und aus extremer Polarisierung wachsende Reputation. Ein schwer zu durchschauendes Geflecht.

Hinterlasse einen Kommentar