Es gibt ja eine Menge Wesenszüge, die – je nach privater oder politischer Lage – Konjunktur haben. Im Moment steht gerade das Großmaul ganz oben im Ranking. Nicht sein Erfinder, aber der unentwegte Hüter der Begriffs residiert aktuell im Weißen Haus in Washington. Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer umschreibt vergleichsweise vornehm, was den US-Präsidenten, gerade mal ein paar Wochen im Amt, ausmacht: Ich glaube, man tut ihm nicht unrecht, wenn man sagt, dass er morgens, wenn er aufgestanden ist, noch nicht weiß, was er an dem Tag entscheidet. Nur die Lautstärke, so sei angefügt, ist seit Donald Trumps amerikanischem Wahlkampf und Wiedereinzug in Washington fest programmiert.
Ukraine-Frieden in 24 Stunden, Grönland-, Panamakanal- und Kanada-Einnahme absehbar, Gaza-Riviera schon mal in Video-Clip-Premiere und Bürokratieabbau-Walze: Was immer die Führungskraft der Vereinigten Staaten von Amerika im Schilde führt: Es wird mit maximaler Wort- und Dezibel-Wucht in erst die eigene häusliche, dann in die Oval-Office- und schließlich in die Welt da draußen verkündet. Politik, heiß aufgebrüht, in Instant-Manier. Scharf überwürzt von Tech-Milliardär-Köchen, in der Premier-Time gern auch von Vize J.D. Vance, das ist der mit den Kindersocken, à la carte serviert. Ein täglich neues Menu, die Zutaten freilich alt aus der Tiefkühltruhe. Qualität durch horrende Preise, lautstark abkassiert.
Weil das, zwar nicht umfänglich überzeugend, aber dann doch irgendwie Eindruck schindet, macht es ein deutscher Möchtegern-Kanzlerwerden nach. Der kleine Bruder vom Großmaul, nämlich Friedrich Merz, ist zwar nicht ganz so laut, glaubt aber, ähnlich ungeschickt zum Ziel kommen zu können. Eine in den USA zur Staatsräson gebetene Presse ersetzt der unionsgeladene Regierungschef in spe durch entschlossene Sprüche auf Anrufbeantworter. Rechtliche Zweifel durch entschiedene Interpretion von Legislatur-Macht und kurze Blicke in die Juristen heilige Schönfelder-Bibel. Die Mehrheit für den Profilierungseinstieg kann Merz schwerlich irgendwie predigend zusammenbasteln.
Gemeinsam ist beiden Großmäulern, dass sie trotz brüllendem Vortrag (der Eine) oder unüberhörbaren gebetsmühlenartigen Appellen (der Andere) nicht so recht bei denen, die sie über den Tisch ziehen wollen, verfangen. Ob russischer Präsdent, souveräne Staaten oder arabische Regierungen, ob Grüne oder Linke: Sie wollen die Kraft der politischen Anmaßung nicht ohne Weiteres akzeptieren – oder verstehen. Und auch die ständigen Wiederholungen von Drohungen (der Eine) und Ins-Gewissen-Reden (der Andere) greifen offenbar nicht so, wie selbst suggeriert. Mit der Folge, dass sich dort und hier schleichend Zweifel breit machen, ob es denn Großmäuligkeit, groß oder klein, irgendwie bringt.
Oder ob denn große Sprüche über vermeintlich sinnvolle Ziele vielmehr überdecken, dass die sich dahinter verbergende politische Substanz so substanziell und schwerelos wegführend nicht ist. Jedenfalls regt sich gegen die großen und kleinen Großmäuler einiger Widerstand. Der blickt langsam, aber derart auffällig durch, dass sich die Frage stellt, ob denn der Eine sein Amt überhaupt in voller Periode überlebt und der Andere es ungeschoren antreten kann. Noch bauen sich beide vor dem großen Bären einer nicht völlig idiotischen Öffentlich auf, als ließen sich Bären durch Großmäuhligkeit bändigen. Immer weniger unterschwellig wird jedoch deutlich, dass die Jagd nach Ruhm und Macht am Ende verloren gehen könnte.

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