Jüngst schrieb im Freitag der Kollege Paul Heinicker einen aufschlussreichen Beitrag zum Thema Wahlkarten. Nun, ein Kollege ist untertrieben. Der Mann ist Designforscher und Experte in Kritik der Datengestaltung. Mir insofern Karten-fachlich haushoch überlegen. In diesem Sinne, und im Sinne grafischer und politischer Verschränkungen, in welcher Richtung auch immer, gebe ich Heinicker denn auch gerne Recht, wenn er sagt, dass derlei Anschauungsmaterial dazu neigt, Bilder ideologisch zu verzerren. In dem sie Parteien-Mehrheiten über- oder untergewichten. Und am Ende einer sorgfältigen politischen Differenzierung entgegenstehen können – und damit demokratische Prozesse auf ganz und gar unfruchtbare Weise torpedieren.
Ich möchte aber nicht verhehlen, dass ich, vielleicht nicht in Sachen Karten, aber dann doch – was andere Wahl(ergebnis)bilder betrifft – in Sachen Farben zur Vereinfachung tendiere. Ich möchte also nicht auf das von Heinicker angesprochene versimpelnde West-Ost-Karteneinerlei zu sprechen kommen, das dem Design-Experten Beispiel für seine Ausführungen gab (und gibt) – Stichwort schlichte und damit Realitäten verstellende schwarz-blau-Malerei. Sondern auf die Balkengrafiken, an denen sich Leute wie Jörg Schönenborn den lieben langen Wahlabend welcher Wahl auch immer entlanghangeln. Und die dort und anderswo über Verluste und Zugewinne inklusive Regierungskoalitionsmöglichkeiten Auskunft geben.
In diesen dynamischen Balkengrafiken bekommt die Union seit jeher die Farbe schwarz (max dunkelgrau), die SPD ein sattes Friedrich-Ebert-Rot, die Grünen strahlen in Wiesengrün und die FDP, als hätte man es schon immer geahnt, erhält ein eher für Gesunheitsschäden stehendes Gelb. Die Linke, weil rot vegeben ist, wird in lila gezeigt; weil sie ja auch soooo alt-revolutionsrot selbst nicht daherflammen mag. Nur Fantasien von rot-rot-grünem Schulterschluss bringen Rot hier wieder ins Spiel. Ich frage mich freilich seit die AfD, leider, über die 5-Prozent-Hürde ragt, wer auf die Idee gekommen ist, diese Partei mit blau zu markieren. Und damit – aus welchen fahrlässigen Gründen auch – die rechte Camouflage übernommen hat.
Denn Alles, es sei denn man neigt zu täuschenden Interpretationen, was die Farbe blau bedeutet, lässt sich schwerlich bei der AfD finden. Weder Harmonie, es sei denn deutschtümelnde. Noch Vertrauen, es sei denn in Systemfeindschaft. Noch Entspannung, Klugheit, Ruhe. Sehnsucht auch nicht, es sei denn nach einer ausländerfreien Zone D. Treue ebenfalls no, es sei denn die Treue zum Nationalen. Zu Blut und Boden. Ferne, Weite: Fehlanzeige. Jedenfalls ist alles AfD-mäßige BLAU, prägt Logos und Slogans. Corporate Design à la Höcke & Co. Wer AfD denkt, soll blau denken. Andere haben es auch mit blau (oder zumindest türkis) versucht. Aber keine Partei drang derart erfolgreich ins blauäugige Spektrum vor.
Doch warum, in aller zu noch demokratischer Aufrichtigkeit neigenden Welt, müssen Medien diesen Etikettenschwindel übernehmen? Weil, sagen wir: braun, stigmatisiert? Aber ist nicht auch das Schwarz für die Union eine Stigmatisierung? Wo doch die Union, als CDU, erwähntes Türkis bevorzugt. Und als CSU, wie die AfD, ein kühles Blau. Die SPD längst nicht mehr rot im Sinne ihrer Gründungsköpfe scheint. Und die Linke nicht lila, wie es saisonal bei Katholiken leuchtet. Unter mir einfallenden Medien wagt es einzig die tageszeitung der AfD die Balken-Farbe zu verpassen, die auch aus offiziöser verfassungsrechtlicher Behörden-Sicht der Partei naheliegend und die Historie abklopfend angemessen erscheint.
Schenken wir der AfD die Balken-Farbe, die sie verdient hat. Einen irgendwie erdigen Ton! Und denken in diesem Zusammenhang drüber nach, wie es um die anderen Parteien und ihre Balkenfarben steht. Vielleicht reicht ja bei der SPD ein zum Rosa abgeschwächtes Rot. Bei den Grünen etwas, was nach ihrem Votum zu den schwarz-roten Milliarden-Plänen bis auf Weiteres durchaus etwas hin zum Aufrüstungsgrauen haben darf. Die Linke könnte ein bisschen mehr Rot vertragen. Die Union kann ja türkis bleiben, falls Friedrich Merz nochmal sein Versprechen brechen sollte, jedem Berührungspunkt mit der AfD auszuweichen. Wagen wir mehr Flexibilität – und mehr vielbeschworenen Mut zu Farben. Den richtigen.

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