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Türkei AusDer NATO

Wenn es Zweifel daran gibt, ob ein Staat noch auf dem Boden von Demokratie und Rechtsstaat steht. Man diesem Staat aber verbunden war und ist. Etwa dadurch, dass dieser Staat Mitglied der NATO ist. Oder mit ihm Vereinbarungen getroffen wurden, die den eigenen Interessen dienlich sein sollten. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man versucht, die Beziehungen zu nutzen, um den Staats zur Vernunft zu bringen und damit die Menschen, die in ihm leben, nicht mit diesem Staat allein zu lassen. Oder man katapultiert ihn aus der Gemeinschaft der Demokratien und bewegt ihn auf diese Weise zur Besinnung.

Ein solcher Staat ist die Türkei. In der gerade Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf eine derart autokratische, ja in Teilen schon faschistische Art zu Gange ist, dass sich Verfechter von Demokratie und Rechtsstaat und grundlegender Menschenrechte Gedanken machen müssen, wie sie dem Mann und seinen unerträglichen Herrschaftszügen begegnen wollen. Da die Regierung der Türkei seit Längerem versucht, Mitglied der Europäischen Union zu werden, die EU aber stets klar gemacht hat, dass es vor dem Hintergrund der in Ankara betriebenen Politik, eher schlecht aussieht, scheint die Strategie sanften Drucks ausgereizt.

Lange haben Europa und die USA dem politischen Treiben Erdoğans, bis auf appellative Verrenkungen, tatenlos zugeschaut. Zum einen, weil die Türkei eine wichtige Flanke der NATO hinüber zum arabischen Raum darstellt. Andererseits, weil Brüssel und die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel die Idee hatten, das Land als Parkfläche für syrische Flüchtlinge zu nutzen, um sie, die Schutz vor dem mittlerweile gestürzten Assad-Regime suchten, nicht weiter ziehen zu lassen, als bis zum Bosporus. Diese Abhängigkeit nutzte und nutzt der Präsident aus, um innenpolitisch zu wüten, wie es ihm beliebt.

Der nicht erste, wohl auch nicht letzte, aber doch ein Gipfel dieses anti-demokratischen und anti-rechtsstaatlichen Wütens ist die Inhaftierung des Erdoğan-Widersachers und gewählten Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem Imamoğlu. Um ihn als Konkurrenten bei der nächsten Wahl des türkischen Staatsoberhauptes quasi aus dem Weg zu schaffen, wurden gegen Imamoğlu alle juristisch windigen Hebel gedrückt. Korruption, auch die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung; der Kurdischen Arbeiter Partei PKK. Mit der Präsident Erdoğan nach ihrem Gewaltverzicht gerade selbst friedenstiftenden Kontakt sucht.

Egal. Um Imamoğlu und seine sozialdemokratischen CHP (Republikanische Volkspartei). die größten Oppositionspartei in der Türkei mit nicht geringem Zulauf und Machtchancen, loszuwerden, ist dem türkischen Präsidenten und seine rechtspopulistischen AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) alles recht – und alles Unrecht lieb. Weil es nicht den Hauch einer Zuversicht gibt, dass Erdoğan seinen repressiven Kurs ändern könnte, gegen den derzeit Zigtausende in der Türkei auf die Straße gehen, muss sich Europa, insbesondere in Gestalt der EU, dringend überlegen, wie es damit umgehen will.

Worte dürften angesichts der Realitäten und der Unbelehrbarkeit des türkischen Präsidenten, weiterhin kaum helfen. Weil die EU ja derzeit ohnehin mit Blick auf Krisen und Kriege neues Selbstbewusstsein sucht, erscheinen striktere Mittel angemessen. Dass überhaupt ein Land mit einer solchen Regierung ungestraft NATO-Mitglied sein kann, ist seit jeher verwunderlich. Dass angesichts des autokratischen Vorgehens der Regierung, im Übrigen auch gegen nicht-türkische Staatsbürger, allmählich die bislang erprobte Nachsicht in die falsche Richtung läuft, muss zu schärferen Schritten führen. NATO-Ausschluss inklusive.

Eine eigenständige(re) EU-Politik kann nicht nur bedeuten, sich von den USA abzukoppeln, die selbst keinen Anspruch mehr auf Schulterschluss mit Europa erheben. Es muss, gerade mit Blick auf den ebenfalls zur Autokratie driftenden US-Präsidenten Donald Trump bedeuten, einen klipp und klaren Stil zu zeitigen, der eine Front gegen jedwede Regierung bildet, die Demokratie und Rechtsstaat mit Füßen tritt. Nun möchte man meinen, dass damit auch EU-Mitgliedsstaaten selbst ins Visier genommen werden müssen. Staaten wir Ungarn. Bingo! Es zählt Alles, was der Glaubwürdigkeit eigener formulierter Ansprüche dient.

Die europäische Welt krankt vor allem daran, keine überzeugende und nach außen vertretene und zur Durchsetzung gezeichnete Linie gefunden zu haben. Russland, die USA, die Türkei, autoritäre arabische Staaten: Zu- und Abneigungen wurden an höheren Interessen ausgerichtet. An solchen, die sich mehr oder weniger mittelbar der Ökonomie verpflichtet fühlen. Da sind schonmal gern die politischen Augen geschlossen worden. In der Abteilung derer, die das tun, sind inzwischen alle Plätze belegt. Frei sind noch Plätze, in denen es darum geht, die Maßstäbe der Integrität in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu schärfen.

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