Diese Bundesregierung muss große Dinge schaffen. Das ist das, wozu wir verdammt sind. In diesem Satz, den SPD-Chef Lars Klingbeil, zugleich Frontmann bei den Koalitionsverhandlungen mit der Union, in der ARD-Sendung Caren Miosga geäußert hat, steckt nahezu alles, was an Politik-Missverständnissen derzeit zu orten ist. Große Dinge schaffen, das war der Sozialdemokratie einst Herzensanliegen. Pläne und Visionen schmieden, die auch die deutsche Welt besser machen (könnten), gehörte zum alltäglichen Rüstzeug der Genoss:innen. Wer das heute als Last empfindet, der hat irgendwann und -wo das SPD-Gewissen verloren.
Aber ja, es ist eine Herausforderung, mit Blick auf ehemals Verbündete wie die USA, großmachtsüchtige Diktatoren wie den Kreml-König, dazu demokratiefeindliche Autokraten in der Türkei und das Völkerrecht beugende Ministerpräsidenten im Nahen Osten Großes zu schaffen. Großes, das nicht despotischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht. Großes, das sich nicht weiter in entweder Naivität oder Eskalationsspiralen verliert. Genau das aber war früher einmal die Disziplin, die nicht Verdammnis genannt wurde, sondern positive Gestaltungskräfte freisetzte. Von denen ist weiterhin so rein gar nichts zu spüren.
Alles, was den SPD-Vertretern am Tisch des Herrn, des wahrscheinlich künftigen Bundeskanzlers Friedrich Merz, einfällt, ist, dem verdammten Druck mediokrer Welterklärer zu folgen. Die, eben gerade noch die guten, zumindest ökonomisch hilfreichen Bande zu Russland lobend, Europa jetzt bis an die Zähne bewaffnen wollen. Koste es, was e wolle. Die, die sich schon einmal in Kaffeesatzleserei verloren haben, mit oder trotz Putin könne man sich bedenkenlos Moskau vor die Füße werfen, sind nun die Kaffeesatzleser, die behaupten, morgen schon stünden gefühlt die Truppen Rasputins vor dem Brandenburger Tor.
Es gab vor Jahrzehnten mal ein Kommunisten-Plakat mit der Warnung Vorsicht, die Russen kommen. Darauf zu sehen bolschoi-haftige Eleven. Nun, so naiv muss niemand heute sein. Und derartige Verharmlosung wäre, 40 Jahre nach der Gorbatschow-Dämmerung, nach all dem, was passiert ist und passiert, Fehl am Platze. Nur fällt es auch Sozialdemokraten, einst in vorderster Aussöhnungsreihe mit zusammengebrochenen Sozialismen stehend, schwer, dem, je nach dem, Hang zu Naivität oder zur Eskalation, so etwas wie einen Blick aus politischer Vogelperspektive zu wagen. Um eben genau dem Gefühl von Verdammnis zu entgehen.
Der Druck des Regieren-Wollens ist es, der das schwierig macht. Und der es schwierig macht, zunächst den Kopf einzuschalten und dann danach zu schauen, was nicht politisch geht, sondern was politisch erforderlich ist. Auch und gerade vor dem Hintergrund des Erstarkens der Rechten in unserem Land. Ist es hunderte Milliarden schwere Aufrüstung? Oder sollte man das Geld nicht besser in sozial dringend notwendige Projekte fließen lassen? Hat die AfD mittlerweile auf 23 Prozent zugelegt, weil wir nicht vor Waffen strotzen? Wie sieht es aus mit dem Verhältnis von inneren zu äußeren Feinden…?
Oh, ich sehe das Argument: Was passiert mit den armen Rentnern, wenn sie tot sind? Erst mal müssen wir die Grenzen schützen – zum einen vor Russland, dann vor illegalen Migranten. Wie wäre es, wenn wir einmal uns vor uns selbst schützen würden? Vor der immer währenden Ignoranz gegenüber sozialem Ausbluten. Gewiss: Frieden ist Grundvoraussetzung dafür, im eigenen Land positiv gestaltend unterwegs zu sein. Ist aber Krieg Grundvoraussetzung für Frieden? Was, wenn wir aus dem Eskalations-/Abwehrdenken nicht herausfinden? Bleiben Milliarden für Klimaschutz und sozialen Frieden für immer Wunschtraum?
Man will ja nicht unken: Aber vielleicht ist es den Merzens & Klingbeils ja sogar ganz recht, sich auf die äußeren Feinde zu konzentrieren. Zu ihnen gehört aktuell auch die Trump-Administration, die mit Alle anderen ganz böse, böse, weswegen ihnen ganz große, große Probleme ins Haus stehen könnten-Sprüchen, Europa die Hölle heißt macht. Was bedeuten soll, dass wir erst recht kriegstüchtig werden müssen. Sorry, so die Logik der Koalitionäre in spe: Da müssen wir erstmal Rheinmetall füttern, bevor wir Klima schützen und soziale Verhältnisse ausbauen und sichern. Ein paar Schlaglöcher stopfen, mehr ist nicht drin.
Es war schon immer Methode, auf das Außen zu zeigen, wenn es im Inneren drunter und drüber geht. Das scheint dem Menschen ein besonderer Abwehrmechanismus. Der schon ohne Waffen wirksam aus eigentlicher Verantwortung führen soll. Mag seinerseits naiv klingen: Aber könnten wir nicht mal versuchen, den inneren Frieden als die eventuell wichtigste Abwehr äußerer Angriffe zu begreifen? Neben der immer wieder beschworenen Kriegslüsternheit Russland gab es auch das Narrativ, Putin versuche, Europa zu destabilisieren, in dem man es zur Aufrüstung und ökonomisch-sozialer Verwahrlosung zwingt.
Wenn daran etwas nur ansatzweise Wahres ist, dann leistet das, was Union und SPD mit Flankenschutz der Grünen bislang verabredet haben, ganze Arbeit. Addiert man den Schaden dazu, den die USA gerade anderen zufügen, ideell und materiell, dann ist nicht schwer zu erkennen, dass es tatsächlich im Klingenbeil’schen Sinne Großes gibt, zu dem wir verdammt sind: Nämlich uns von konventionellen Triebkräften zu lösen und es unkonventionell anzugehen: Rüsten wir nicht auf, sondern ab! Machen wir uns statt kriegstüchtig sozialtüchtig. Wehren wir Zerstörungsdoktrin ab, bevor sie durch Waffen befeuert werden!

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