Raketen auf ein Krankenhaus in Gaza. Volltreffer der israelischen Armee. In den Betten lagen: Selbstverständlich Hamas-Kämpfer? 20 Minuten, so heißt es aus Palästinensermund, hätten die Menschen in der (Achtung Sarkasmus!) als Klinik verkleideten Kommado-Zentrale des Terrors Zeit gehabt, sich aus dem Gebäude nach draußen zu bewegen. Nicht für alle gereicht? Pech gehabt. 40 Schwerkranke konnten, so die Klinik in Gaza, nicht in Sicherheit gebracht werden. Ein Kind sei bei der Evakuierung gestorben. Kollateralschaden. Geschehen am Tag, als die Russland-Armee Sumy in der Ukraine angriff. Mit schätzungsweise 30 Toten. Verheerend. Über Beides wird berichtet. In der Tagesschau an einem Sonntagabend.
Über Sumy zuerst. Dann über Gaza. Allerdings durch einen Bericht über die laufenden Koalitionsgespräche in Berlin getrennt. Warum der Bericht über Gaza nicht gleich hinter dem über Sumy? Weil der Verdacht entstehen könnte, die beiden Angriffe haben im Kern vielleicht etwas Gemeinsames? Haben sie. Die russische Armee bombadiert die Ukraine seit Beginn mit dem Argument, die Nachbarstaat sei ein Nazi-Pfuhl. Israel legt den Gazastreifen in Schutt und Asche mit der Begründung, der Streifen entlang des Meeres sei komplettes Terror-Land. Zivilisten werden jeweils als nützliche Idioten oder tragische Schutzschilde des Extremismus betrachtet. Ohne Rücksicht, ohne einen Hauch von Empathie.
Ich habe Empathie – mit den Opfern!
Den Zivilisten. Die sterben müssen, weil Täter ihren Terror, ihren Krieg moralisch und politisch für gerechtfertigt, gar integer halten. Meine Empathie gilt keinem Wladimir Putin und keinem Benjamin Netanyahu, keinem Wolodymyr Selenskyi und keinem Hamas-Führer. Sie geben vor, im Namen der Opfer anzugreifen, sich zu wehren. Und schaffen immer neue Opfer. Es geht um eigene Macht und um den eigenen Kopf. Die Einen möchten, dass er nicht in die Schlinge gerät, die anderen ihn aus der Schlinge retten. Sie spannen die Menschen, für deren Schutz sie die Verantwortung tragen, vor ihre Karren. Sie lassen nicht über ihren Kurs abstimmen, aus Angst vor der Niederlage. Sie machen weiter, koste es, was es wolle.
Die Täter tun so, als würde das Volk hinter ihnen stehen. Hinter Tod und Zerstörung. Wirklich? Das russische Volk wird vom Kreml dumm geredet. Soldatenleben werden verpulvert. Das ukrainische Volk in zweifelhaften Patriotismus getrieben. Wer nicht kämpfen will, das sind nicht wenige junge Männer, wird eingesammelt und an die Front gekarrt. Die Israelis bangen um die verbliebenen Geiseln der Hamas. Ihre Proteste gegen das erbarmungslose Treiben der israelischen Regierung werden ignoriert. Die Hamas hält nicht nur Israelis als Geiseln, sondern auch ihr Palästina. Niemand fragt je ernsthaft nach, ob die zigtausenden Zivilisten den Preis zahlen wollen, der auf der Terror- und Kriegsmaschinerie klebt.
Man kann Netanyahu nicht mit Putin vergleichen, die Hamas nicht mit der israelischen Regierung, das Selenskyi-Office nicht mit dem Kreml. Man kann aber etwa registrieren, dass der Ministerpräsident Israels nach Ungarn reist und dort Viktor Orbán trifft, der aus Putins Brust den Nektar für seine herablassende Sicht auf Demokratie und Rechtsstaat saugt. Dass Netanyahu und seine rechtslastige Regierung ein immer engeres Verhältnis zur europäischen Rechten pflegen, die alles aushöhlen will, was Menschenfreundlichkeit ausmacht. Man kann registrieren, dass Selenskyi den ökonomischen Ausverkauf seines Landes zulässt, wenn die USA ihm nur genügend Waffen für seinen aussichtslose Kampf überlassen.
Man kann registrieren, dass weder Putin noch die Hamas ein Interesse an einem belastbaren Friedensweg haben. Putin lässt sein autokratisches Pendant Donald Trump in einer unheiligen Allianz abblitzen wie einen Schuhputzer. Es ist ein patriachales Muskelspiel, das hier zwei betreiben, denen die Folgen ihres Handelns für das eigene Land, den eigenen Machtbereich, die Welt, die Kultur des planetaren Miteinanders entweder nicht bewusst oder egal sind. Die Hamas glaubt, dass, wenn sie unnachgiebig bleibt und im Zweifel das dreckige Aushängeschild des Iran oder des türkischen Präsidenten Erdoğnan spielt, den Palästinensern einen Gefallen tut. Dabei regt sich auch dort Widerstand gegen die Terror-Organisation.
Wie man es auch dreht und wendet mit den Tätern – am Ende bluten vor allem die Zivilisten, das Land, das Leben. Kein Stein steht mehr auf dem anderen, keine Seele findet Ruhe. Fokussieren wir den Blick auf die wirklichen Opfer. Die Opfer der Täter auf dem eigenen Territorium und die Opfer der Täter, die das eigene Territorium von außen zerstören wollen. Wer will, dass ein Ausweg gefunden wird, muss empathisch von der Opfer-Seite denken. Die Empathie den Opfern gegenüber führt dazu, die Täter und ihre Narrative zu demaskieren. Sie zu entlarven. Wenn sie vorgeben, ihr terroristisches und kriegerisches Handeln sei am Ende den Interessen der Zivilisation geschuldet. Welch eine großangelegte Lüge!
Wenn die Hamas sagt, im Namen der Palästinensern zu handeln, in dem Israel in Angst und Schrecken lebt, am besten gar nicht existiert: Lüge! Wenn Netanyahu vorgibt, im Namen von Jüdinnen und Juden, ja Israels zu handeln, in dem er die Palästinensergebiete zerstört und die Menschen daraus vertreibt: Lüge! Wenn Putin vorgibt, den Krieg gegen die Ukraine im Sinne eines im Grunde friedlichen Russland zu führen, dem es nicht um imperialistische Landnahme gehtt: Lüge! Wenn Selenskyi glaubt, den Konflikt mit Russland militärisch lösen zu können, ohne in Kauf zu nehmen, dass andere folgenschwer in die Auseinandersetzung hineingezogen werden – und dass es ihm vor allem um Europa geht: Lüge!
Wer von den zivilistischen Opfern her denkt, weiß, dass es den Tätern nicht um sie geht. Denn wer Zivilisten und ihr Leben zu opfern bereit ist, empfindet keine Empathie für die Menschen. Sie wollen nicht sterben, wollen nicht, dass ihr Zuhause zerstört wird. Dass Generationen nach ihnen kein wirkliches Leben haben, sondern ihr Dasein im Modus des Überlebens fristen. Kein Täter, kein Land, kein Nationalstolz ist es wert, sich unter das Joch autokratischen Irrsinns zu begeben. Es gilt, den Vorhang zu zerreißen, der mit dem Bild aufwartet, es gelte das Leben schlimmstenfalls mit dem Tod zu verteidigen. Wer so denkt, ist nicht weit davon entfernt, zu denken wie es viele gnadenlose Extremisten tun .
Selbstlosen Extremisten wird eingebläut, sie rissen sich für eine gute Sache in Stücke. Eine Sache, die sie freilich nach ihren Gewaltexzessen nicht mehr erleben. Eine Sache, an der für immer Blut klebt. Bislang scheint es so, als könnte die Logik des Wahnsinns nicht durchbrochen werden. Kann sein, wenn man im Sinne der Täter denkt. Sie kann aber durchbrochen werden, wenn man im Sinne der Opfer denkt. Wenn man der bewaffneten Logik eine entwaffnete und entwaffnende Logik entgegensetzt. Wenn man die Kriegstüchtigkeit, die sich gegenwärtig in die Hirne schraubt, durch Friedenstüchtigkeit ersetzt. Wenn Zivilisten und die, die mit ihnen empathisch sind, gewahr werden, dass die Feinde auch im eigenen Haus sitzen.
Der Zivilist, der Leben in Freiheit will, hat eine Chance, sich Militaristen und ihrem Dogma des Krieges als vermeintliche Lösung von Konflikten zu widersetzen. Wenn er nicht zuerst auf die Täter schaut, sondern auf die Zivilisten neben ihm und auf der anderen Seite. Sie sind die eigentlichen Verbündeten. Sie sind gleichsam Opfer einer nicht aus ihrer bellizistischen Engstirnigkeit zu bewegenden Nomenklatura, den Tätern. Ob im Kreml, in Kiew, Tel Aviv, bei der Hamas oder sonstwo. Sie können mit Empathie und grenzübergreifender Kraft der tödlichen Eskalation des Täterdenkens ihre lebenszugewandte Opfersicht entgegenstellen. Sonst ist zu befürchten, dass die Gewaltspiralen kein Ende finden.

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