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Den Osten Kuscheln

Es ist mehr oder weniger verdienstvoll, was in diesen Zeiten, da die AfD mal auf dem zweiten Platz, bisweilen auch auf dem Goldtreppchen der Parteienlandschaft steht, das Öffentlich-Rechtliche so alles unternimmt, um dem Rechtsdrall der Republik entgegenzuwirken. Da haben wir zB das Format KLAR mit der ebenso rechtkonservativen wie jungen Julia Ruhs, die unter dem Dach von BR und NDR ihre Botschaften nach draußen, ins Volk, sendet. KLAR heißt: Man muss ja auch mal die zu Wort kommen lassen, die sich sonst von ARD und ZDF unterdrückt fühlen und das auch noch per Rundfunkbeitrag bezahlen müssen. Auf Focus Online ausprobiert, soll Julia Ruhs auch im Free-TV Meinungsvielfalt schaffen. Weil das Vielen irgendwie fehlt.

Fehlen tut das, KLAR!, vor allem jenen, die es sich im Lager der Querdenker und auch sonst eher System-, na sagen wir: -feinde gemütlich gemacht haben. Und von dort aus mit allerlei menschenfreundlichen Parolen ihren Populisten-Agitprop befeuern. Was läge es da näher, als dass sich die Julia in ihrem ersten Aufhellungsauftritt mal um das: jawoll, so gar nicht nahe liegende Thema Migration kümmert. Es ging darum, was alles falsch läuft. Um den kritischen Blick auf die Asylpolitik. Das brachte der Julia allerlei Unmut ein, etwa aus den Reihen des ZDF. Aber der gute Michael Hanfeld von der FAZ sprang der Jungmoderatorin flugs bei. Was den einen ein Ritterschlag ist, in anderen Fällen eher ein Todesstoß.

Was richtig pfiffig scheint, das ist die Tatsache, dass Julia Ruhs nicht eines der Gewächse ist, die aus dem Osten Deutschlands kommen. Man kann ihr also zumindest nicht nachsagen, dass sie das gegenwärtig von vielen Ost-Protagonisten monierte auf den Osten verweisende und mit rechter Meinungsvielfalt gekoppelte Ossi-Bashing ankurbelt. Nein, die Julia kommt aus dem Westen, wurde dort lebensmäßig und journalistisch sozialisiert und zeigt: auch die Wessis können rechts – was nie jemand bestritten hat. Und auch die Wessis wissen, wo es an der Meinungsvielfalt hapert. Das haben mehr Wessis mit den Ossis gemein, als der ostdeutsche Nörgler vermutet. Also: Gaaaaanz große Umarmung mit der Julia.

Parallel war dieser Tage in der ARD die Doku Abgeschrieben? – Der Osten in den Medien zu sehen. Die Doku passte zu KLAR mit der Julia. Weil sie alles daran setzte einerseits mit Vorteilen aufzuräumen, wonach der Osten voller Nazis ist. Und andererseits Urteile zu stützen, die vor allem in rechtspopulistischen Kreisen gepflegt werden, wonach die (Staats-)Medien alles tun, um den Ossi als Inkarnation rechter Gesinnung und Umtriebe zu stempeln. Die Medien haben, von Vereinigung an, so der Tenor der Doku, den Osten missverstanden, überrumpelt, missachtet, physisch und psychisch geschunden. Dass das nicht gut gehen konnte und abfärbt, KLAR, würde die Julia sagen. Nun müssen wir das aber auch mal zeigen.

Was die Doku im Ersten präsentiert, ist, Sarkasmus beiseite, ja in der Tat geschehen. Ostdeutschland wurde quasi übernommen und zu Gunsten vieler West-Interessen und -Interessenten entweder mit wenig Geld einkassiert oder ökonomisch und sozial runtergewirtschaftet. Und zudem gesinnungsmäßig eingeebnet. So geht Kapitalismus nunmal. Den freilich haben die meisten Menschen in Ostdeutschland, nachdem sich eine Minderheit anfänglich dagegen aufgebäumt hat, gewollt. Auswüchse waren erahnbar. Es stellt sich nurmehr die Frage, weshalb sich, als klar wurde, wohin die Reise geht, Kritik, der Unmut, der Zorn immer mehr im Rechtsextremen entladen hat – nicht links oder linksaußen.

In einer Art Kotau, der die Öffentlich-Rechtlichen statt analytischer Aufarbeitung befällt, wenn von rechts auf sie eingedroschen wird, wird nach der Wiedervereinigung die Wiedergutmachung geübt. In dem man auf die zugeht, die auf ganz unterschiedliche Weise allem, was für das System gehalten wird, ihren Daseinshass entgegen richten. Man denkt, wer Verständnis aussät, könne am Ende auch Verständnis ernten. Journalisten gehen für ihre oder die Sicht ihrer Vorgesetzten in Schutt und Asche. Ja, der Osten wurde schlecht behandelt. Und dann ist da eben noch die Julia. Die KLAR macht, dass der Ossi längst nicht allein ist. Sondern dass die ja verständlichen Ressentiments überall in Deutschland lauern.

Der Haken: Wer vor den nicht nur, aber auch nicht spärlich im Osten beheimateten Ressentiments in die Knie geht, schreibt dem Nicht-Westen abermals eine Sonderrolle zu. Oder er subsumiert, wie die Julia, alles unterm Deutschland-Label. Das hält dem Unmut auf das System die Waage. Macht den rechten Kern und seine populistischen Auswüchse freilich nicht harmloser. Und mindert nicht die Verantwortung der Menschen für die Auswüchse. In der ARD-Doku hat es den Anschein, als hätten die Medien versagt, in dem sie dem Populismus zu wenig Platz gaben. Aber sie haben versagt, weil sie den Populismus erst nicht ernst nahmen – und ihm nun unreflektierten Raum geben. Kurzum: Den Osten kuscheln bringt nichts.

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