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Die UnverBlümte Wahrheit

Die Rende is sischä – so klang phonetisch, was Nobert Blüm, einst von der CDU ins Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung entsandt, den deutschen Bürgerinnen und Bürgern ins Lebensbuch schrieb. Zuerst im Wahlkampf 1986, dann nochmals im Bundestag 1997, in einer als hitzig beschriebenen Parlamentsdebatte. Es ging um die damalige Reform des Rentensystems. Der so genannte demografische Faktor und eine Absenkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent sollten die Renten langsamer ansteigen lassen, dafür zukunftsfest machen. Seitdem steht das Rentensystem immer wieder auf dem Prüfstand.

Denn die Rente ist – anders, als es uns der nette Nobbi weißmachen wollte – alles andere als sicher. Das System zerbröselt aus vielerlei Gründen. Wie einem überhaupt alles, was das Leben existenziell sicher machen sollte und könnte, unterm Hintern wegbricht. Der Parlamentsgeschäftsführer der Union, Thorsen Frei, spricht aus, was viele befürchten und schon lang fühlen: Es werden in Sachen Rente, aber auch Gesundheit und Pflege unangenehme Entscheidungen auf die Menschen zukommen. Wenn die Verteidigungsausgaben erhöht würden, ginge das zwangsläufig auf Kosten anderer Aufgaben.

Frei weiter: Wir sollten den Menschen nicht Sand in die Augen streuen. Man lebe in einer aufgeklärten Gesellschaft, da sei Paternalismus nicht nötig. Die Sätze, die der Unions-Mann, der in die Koalitionsverhandlungen eingebunden war, spricht, sind nur eine auf sich stets verschlechternde Zeiten einstimmende Vorahnung. Denn das Prinzip Hoffnung ist zentraler Bestandteil einer Politik, die bisher jede, aber auch jede Koalition, erst zur selbstsuggerierten Blüte und dann zum Welken gebracht hat. Mit dem Ergebnis, dass sich auch aktuell die Zustimmungswerte für die rechte AfD sukzessive nach oben schrauben.

Auch ehemalige Grünen-Politiker, die ihre Farbtracht – lang, lang ist’s her – verloren haben und ins Lager populistischer, was Migrationspolitik betrifft auch rechtspopulistischer Stimmen abgedriftet sind, wie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, sprechen von einem nötigen Kurswechsel in Sachen Sozialausgaben. Die, so spricht der Parteilose, überborden würden. Was im Umkehrschluss und nach seinem Befinden angesichts der dramatischen Finanzlage deutscher Städte und Gemeinden, nur heißen kann: Einschnitte, Wohltaten streichen. Bei Flüchtlingen, Dingen wie Bürgergeld, Alterversorgung und anderem Sozial-Chi-Chi.

Der Staat sei dafür da, in Notlagen einzuspringen. Und könne nicht jedes Risiko auf der Welt absichern. Wer Risiken absichern möchte, etwa im Alter, dem schlägt seit geraumer Zeit eine ganze Welle wohlfeiler Ratschläge entgegen. Selbst in linksliberalen Medien wie dem Freitag darf eine junge Autorin, die viel von Literatur verstehen mag, sich mittlerweile aber für alle Lebenslagen zuständig hält, mit guten Tipps vom Leder ziehen. Und 10 Ideen anbieten, mit denen auch Menschen mit weniger Geld ihr Konto auffüllen können. Darunter allerlei Kram, der derzeit auch unter (noch) wenig Mutigen für gute Stimmung sorgen soll.

Voran stellt sie, der eigenen intellektuellen Absicherung wegen, den Hinweis, dass etwa ein Fünftel der Deutschen am Ende des Monats überhaupt kein Geld übrig haben, um für schlechte Zeiten vorzusorgen. Dann geht es los mit den Finanztipps einer Linken, die Geld ansparen will. Erst Binsen: Nicht in die Ratenfalle tappen. Gehaltspuffer unsoweiter. Um dann bei ETFs, Exchanged Trading Funds, also börsengehandelten Indexfonds, zu landen, die derzeit so sehr beworben werden, wie vor ihnen gewarnt wird. Keine Panik, lässt uns die Literatin wissen: Zeitweilige Wertverluste bedeuten keinen Totalverlust der Geldanlage. Entscheidend sei langer Atem.

Whow! Knapper, verständlicher hätten es Investmentbanker, die sich auf Plattformen ihr Stelldichein geben, um den, der kann, auf den Pfad der Altersvorsorge zu führen, nicht sagen können. Fluffig im Stil, wie die Autorin auch ihre Romane verfasst, geht es quer durch den Anlagegarten. Von Risikoklassen ist die Rede, es wird nicht mit YouTuber-Floskeln gespart, im Sparkaseen-Slang das Zins-Einmalein durchgehechelt, zum Haushaltsbuch geraten – und was sonst noch so wichtig ist, um nicht auf die schiefe Bahn zu geraten. Je länger man liest, umso unsicherer wird man sich: Ist das eine Glosse oder ernst gemeint?

Der Ernst des pekuniären Daseins sieht nämlich anders aus. Ich vermute mal, dass es nicht nur ein Fünftel der deutschen Bevölkerung ist, das sich am Riemen reißen muss, um über die Runden zu kommen. Das arbeitet, dann isst, Kinder erzieht, sich um seine Eltern kümmert, um Arzttermine, die es erst nach Monaten gibt, steigende Sozialbeiträge einpreisen muss – und das, sorry, wenn überhaupt noch ein Cent übrig ist, kaum Zeit finden dürfte, sich auch noch über ETFs Gedanken zu machen, über ihre absehbaren Erträge. Zumal es entweder keine Bankberater mehr gibt oder Beraterhonorare die Gewinne auffressen.

Es ist schon ein starkes Stück, die Abwärtsspirale in sozialen Bereichen aufzufangen, wenn das denn noch gelingen kann. Allein der tägliche Wust an Horrorsprüchen, die von Politikern wie Thorsten Frei oder Boris Palmer losgelassen werden, treibt Otto Normalverbraucher rund um die Uhr den Angstschweiß auf die Stirn. Und lässt jedwede Zuversicht erlahmen. Dazu die allgemeine Weltlage, die derzeit mit Begriffen wie Inflation und dem schleichenden Niedergang der Wirtschaft verbunden ist. Da ist es zynisch, einem vorzumachen, es gebe ja doch aussichtsreiche Möglichkeiten, den eigenen Hintern in eine passable Zukunft zu retten.

Mit teils nur gespielter Mühe versucht die SPD quasi etwas von dem zu retten, was Hoffnung geben könnte. Einen angemessenen Mindestlohn beispielweise. Die Begrenzung der Mieten. Eine möglichst breite Einbeziehung aller Verdiener in die Sozialsysteme und deren Finanzierung. Ein Hauch von Solidarität weht hin und wieder am Rande der Koalitionsverhandlungen aus dem Kreis der Genoss:innen hinüber ins Tal der ahnungslosen Wähler:innen. Die sich darauf verlassen müssen, dass irgendwer begreift, dass der soziale Abschwung die rechtsextreme Agenda nährt, mit der die AfD erfolgreich mobilisiert.

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