Wenn ich derzeit die Debatten um Wehrpflicht, Freiwilligendienst und eine neue Verweigerungshaltung betrachte, fühle ich mich zurückgeworfen. In die Zeit, als sich junge Männer in bundeswehrtauglichem Alter dagegen wehrten, in Uniformen gesteckt zu werden und den Umgang mit der Waffe zu lernen. Dass das Thema Militarisierung nochmal so hochkochen würde, hätte ich nicht gedacht. Dass Zukunftsvisionen mal anders besetzt würden als durch die Frage, wie kriegstauglich ist unser Land mitsamt den Menschen darin, war meine Hoffnung. Jetzt ist sie erstmal zerstoben. Freilich mit einem Rest Zuversicht, dass sich am Ende doch friedliebende Totalblockierer in unserer Gesellschaft durchsetzen. Wie der Podcaster Ole Nymoen, der dankenswerter Weise in diesem Sinne Position bezieht.
Vorerst freilich setzen sich die in Szene, die Lust daran haben, ein souveränes Deutschland, ein souveränes Europa per Kriegstüchtigkeit zu definieren. Alles, was derzeit Gehör in der Öffentlichkeit finden möchte, setzt auf das Thema Selbstbewusstsein durch Aus- und Aufrüstung. Wie die Lemminge folgen sie einander in die Schneise laut trommelnder Militarisierungsbefürworter. Unter anderen findet sich dort der vielbeachtete Autor Steffen Kopetzky, den die TAZ anlässlich ihres Labs Ende April 2025 zum Gespräch gebeten hat. In einem Interview vorab plädiert er dafür, die Sparbüchse Bundeswehr wieder zu füllen. Und die Frage, wollen wir als Gesellschaft souverän bleiben?, mit der Frage zu verknüpfen, ob wir, vom Jäger zur Beute geworden, wirklich Jägern zum Opfer fallen möchten.
Geflissentlich übersehen wird dabei, dass gerade Menschen, die mit dieser Frage politisch und gesellschaftspolitisch punkten wollen, alles dafür tun, zum Opfer zu werden. Zum Opfer einer demagogisch aufgeladenen Debatte, die uns, flankiert von milliardenschweren Verteidigungsposten, nur noch einen Traum traumhaft scheinen lässt: Den des Souveräns in Uniform. Uniformiert im outfit und uniformiert im Geiste. Dass jemand wie Steffen Kopetzky, der durchaus die europäischen Werte der Kultur und Aufklärung schätzt, derart plädiert, wundert nicht. Denn mit dem Angriff auf diese Werte, nicht nur durch Russland, sondern neuerdings auch durch die Autokratie eines US-Präsidenten und seiner Gefolgschaft, droht die Fantasie von erfolgreicher Gegenwehr in eigener Engstirnigkeit zu verfangen.
Kopetzky macht in einem SPIEGEL-Podcast vor, wie das funktioniert. Es werden europäische Errungenschaften hochgehalten. Um zu schildern, wie Großmächte wie Russland, China und nun die Vereinigten Staaten von Amerika versuchen, das aufstrebende Europa zu marginalisieren. Und das schlimmstenfalls, so an den Horizont gemalt, durch Kriege, die auch den Einsatz nuklearer Waffen nicht ausschließen. Was also bleibt Europa, wie Kopetzky suggeriert, anderes übrig, als sich notfalls in gleicher Weise dagegen zu wehren. Europa brauche wieder Krieger, lässt Kopetzky wissen. Solche die absichern und verteidigen, was es zu verteidigen gelte. Darin erschöpft sich den im Kern aber auch schon, was unter Problemen als Chance zu begreifen zu verstehen ist. Alternativen sind ausgeschlossen.
Dummerweise stehen Totalverweigerer wie Ole Nymoen auch blöd da. Weil sie sich ihrerseits auf den Militarisierungskurs konzentrieren und drohen, in diesem Themenfeld gefangen zu bleiben. Was in der Debatte um die Zukunft unseres Landes, um die Zukunft Europas fehlt, sind Visionen, die aus der Bellizismus-Spirale führen. Die sich eben nicht ausschließlich darum drehen, ob Aufrüstung gut oder schlecht ist. Sondern die sich abseits dieser Fragestellung Themen (wieder) zuwenden, die abgeschrieben scheinen. Zu Recht wird links der Mitte beklagt, dass Klimaschutz, kulturelle Vielfalt, diverse Toleranz, offener Meinungsaustausch, soziale Solidarität, Verteilungsgerechtigkeit unter die Räder des Militarisierungsdiskurses geraten sind. Oder vom rechten Lager ausgeschlachtet werden. Europaweit.
Europa ist angreifbar geworden – und ht sich angreifbar gemacht. Aber nicht, in dem es eine Stärke, die der Aufklärung erwächst, ausgespielt und in die Waagschale geopolitischer Strategien geworfen hat. Sondern in dem es die Werte von innen aushöhlen ließ und ausgehölt hat. Siehe zB die repressiver werdende Migrationspolitik. Oder die weitgegehende Ignoranz gegenüber Attacken auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die in EU-Ländern zu beobachten sind. Europa hat sich vor der eigenen Stärke gefürchtet – und fürchtet sich nun vor immer unverhohleneren Angriffen von außen. Die freilich sind vor allem auch deswegen möglich, weil das eigene Haus reichlich angefressen ist. Nicht weil es an militärischer Souveränität, sondern weil es an politisch-kultureller Souveränität fehlt.
Damit verbunden darf auch die Frage gestellt werden, die Steffen Kopetzky und andere stellen, aber nicht wirklich gut beantworten können: Was haben wir denn im Zweifel zu verteidigen? Unseren Rechtsdrall? Unsere sozialpolitischen Mängel? Unseren Mangel an Toleranz? Die Unfähigkeit, Debatten zu führen, etwa über den Nahen Osten und das, was sich da gerade an neuen Dramen abspielt? Unseren Hang, aus Spargründen zuerst die kulturellen Einrichtungen auszutrocknen? Was in Deutschland und Europa versäumt wurde, ist nicht die Armeen anständig auszurüsten, sondern respektvoll eine Gemeinschaft von Staaten auszustatten – mit dem, was menschenwürdig und gesellschaftspolitisch nötig ist. Ohne solchen Respekt aber gibt es nichts, was ernsthaft zu verteidigen wäre.
Vielleicht klingt es ein bisschen defätistisch, wenn Ole Nymoen und andere meinen, selbst dann nicht die Waffe in die Hand nehmen zu wollen, wenn das bedeuten würde, einem Unterdrückungsapparat unterworfen zu sein. Lieber in Unterdrückung leben, als tot sein. So brachte er seine Sicht auf die Verteigungspolitik auf den Punkt. Darüber kann man streiten. Und es ließen sich etwa Befreiungskriege anführen, ohne die so manche Diktatur weiter bestünde. Aber nicht wenige dieser Kriege haben neue Diktaturen hervorgebracht. Es ist ein bisschen spät, nun, da man den Feind fürchtet, die eigene Souveränität schönzureden. Das gesellschaftspolitische Versagen durch Militarisierung, und sei es nur der Debatten, kompensieren zu wollen. Da freilich sind mit derzeit zu viele Opportunisten unterwegs.

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