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Hallo, Herr Schusterbeck?!

Irgendwie vermisse ich sie, die Stimmen des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und Volker Becks, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. In Sachen Antisemitismus waren sie, oft zu Recht, schnell zur Stelle. Ihr Urteil, immer klar und ohne jeden Zweifel. Gegen jedwede Ressentiments gegenüber Jüdinnen und Juden, wo auch immer auf dieser Welt. Aber auch gegen jedwede Verurteilung der Politik des Staates Israel. Zumindest wenn sie aus den Reihen derer kam, deren Solidarität mit den Menschen in Israel man nicht wahrhaben mochte. Weil man das eine nicht vom anderen trennen wollte und will. Israel-Kritik sei zugleich altbekannte Kritik an Jüdinnen und Juden an sich, so die Formel, und damit stets und ohne wenn und aber antisemitisch.

Jetzt, da der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und seine rechte Regierungsentourage gedenken, die Palästinenser:innen im Gaza-Streifen sprichwörtlich in die Wüste zu schicken – Funkstille. Es ist nicht so, dass mich das ernsthaft wundert. Denn eine Linie der Zweifellosigkeit wird, das haben Menschen wie Schuster und Beck gemeinsam, nicht einfach schnell hergegeben. Man müsste dann nämlich seine Positionen neu justieren. Und das läuft meist – so sehr es einem auch gegen den Strich gehen mag – nicht ohne Justierung fundamentaler Kerne oder zumindest Ränder eigener Anschauungen. Und wie stünde man da, wenn da plötzlich andere Erkenntnisse sichtbar würden? Erkenntnisse, die jene haben, die man bislang des israelbezogenen Antisemtismus‘ bezichtigte?

Deswegen ist von Josef Schuster nichts zu der geplanten Umsiedlung von Palästinenser:innen in Gaza zu hören. Und nichts dazu, dass Netanyahu mit weitergehenden Plänen liebäugelt, die Palästinenser:innen ganz aus den Regionen zu vertreiben, in denen sie bislang ge- oder besser überlebt haben. Das Narrativ, dass an allem, auch am aller schlimmsten Schicksal der Palästinenser:innen die Palästinenser:innen selbst Schuld haben, weil sie allesamt entweder Hamas sind oder deren Anhänger oder deren willfährige Diener oder deren Schwestern und Brüder im Geiste oder sich als deren Schutzschilde hergeben, ist nicht allerlei genug, um es immer und immer weiter gebetsmühlenartig vorzutragen. Und der (alten) Bundesregierung mangelnde Empathie mit den wenigen noch lebenden Geiseln vorzuwerfen.

Auf die Idee, mal nach Israel zu schauen, in das Land, dem beizustehen Schuster hochhält, kommt dieser Mann nicht. Dann nämlich würde auch eine weitere Erkenntnis greifen müssen. Die Erkenntnis nämlich, dass die Jüdinnen und Juden IN Israel insbesondere auch ihrem Ministerpräsidenten vorwerfen, mit seiner das Völkerrecht in Frage stellenden Politik das Leben der Geiseln geopfert zu haben. Und auch das Leben derer in der Hand der Hamas, die noch nicht getötet wurden, zu opfern. Und zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Mangel an Empathie auf der Seite von Netanyahu beklagt wird. So klagen viele, vermutlich die meisten Menschen im Staat Israel. Und sie sehen, dass Netanyahu vor allem in Machtkategorien denkt. Hier sind ihm alle Mittel recht.

Schusters Appell zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom deutschen Nazi-Regime, gegen eine Schlussstrich-Mentalität (in der Süddeutschen Zeitung nachzulesen) ist richtig. Ebenso sein Blick auf und seine Besorgnis über einen nicht nur hierzulande wachsenden Antisemitismus. Allerdings versucht er damit auch vom Vorgehen und den Plänen der israelischen Regierung in und für Gaza abzulenken. Und Vorwürfen, sie würde damit ein friedliches Leben von Jüdinnen und Juden inklusive ihres friedlichen Zusammenlebens mit den Palästinenser:innen aufs Spiel setzen, entgegen zu steuern. Die Pläne für eine Vertreibung der Palästinenser:innen aus Gaza, eine Besetzung des Gaza-Streifens durch Israel und der rechte Siedler-Terror im Westjordanland sind ein Angriff gegen Israel selbst.

Was Netanyahu und seine rechten Beisitzer in der Regierung vorhaben, untergräbt – neben dem Terror der Hamas – ebenfalls die Integrität des Staates Israel. Indem der Wunsch einer Mehrheit der Israelis, eine friedensperspektivische (Zwei-)Staaten-Lösung in der Region voranzutreiben, von einer selbstgefälligen und selbstgerechten Nomenklatura unterlaufen wird. Könnte das eventuell auch antisemitisch sein?. Viele prominente Autorinnen (wie Philipp Roth, David Grossmann, Amos Oz) haben in ihren Romanen geschildert, wie divers die jüdische Community politische Daseinsfragen sieht, auch in Israel. Schuster & Co sind geneigt, dies auszuklammern und einer Räson das Wort zu reden, die so tut, als müsse man im Zweifel Netanyahus Politik schlucken.

Nein, das muss man nicht. Ebenso wenig, wie man eine Palästinenser:innen-Solidarität gutheißen darf, die die Existenz des Staates Israel bedroht. Die Schusters und Becks in unserem Land sollten wissen, dass inkriminierte Parolen auf Palästinenser:innen-Seite derzeit, kaum versteckt, umgekehrt von rechten Kräften in Israel kopiert werden. In dem den Palästinenser:innen ihr Recht auf ein eigenes Territorium streitig gemacht wird. Und ihnen dieses Territorium nicht nur theoretisch und parolenhaft entzogen wird, wie in Gaza der Fall. Das ist weder in israelischem Interesse noch im Interesse von Jüdinnen und Juden in Israel. Darauf haben mehrfach israelische Intellektuelle und die israelische Öffentlichkeit hingewiesen. Schuster und Beck sollten sich dem öffentlich anschließen.

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